Gedanken zum Auftritt von Kardinal Christoph Schönborn in der jüngsten ORF-"Pressestunde".
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Kardinal Christoph Schönborn hat seinerzeit im Juli 2013 endgültig mein Herz erobert, als er sich aus Rio de Janeiro vom damaligen Weltjugendtag im Morgenjournal mit spürbarem Engagement zu Wort gemeldet und seine Kritik an der Abschiebung einer Gruppe der sogenannten Votivkirchen- Flüchtlinge zum Ausdruck gebracht hat. Die Aufbruchsstimmung durch Papst Franziskus hatte ganz offensichtlich auch ihn erfasst.
Ostern bedeutet doch auch Aufbruch und Neuanfang. Nun aber, bei der alljährlich rund um Ostern stattfindenden "Pressestunde" mit Kardinal Schönborn, konnte man den Eindruck gewinnen, als wäre der Zustand der Fastenzeit doch eh für alle ganz wunderbar. Dabei hätte der zu Recht so wertgeschätzte Kardinal von den beiden so kompetent agierenden und gut vorbereiteten Journalistinnen Simone Stribl und Doris Helmberger-Fleckl durch deren Fragen so viele Möglichkeiten gehabt über eine Zeit nach Ostern zu sprechen, statt das gut zu heißen, was wir gerade erleben.
Wie kann sich der Wiener Erzbischof bei der Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche wirklich auf die Dominanz der Männer auch in den anderen "Weltreligionen" zurückziehen?
Warum sagt er nicht, dass Mann und Frau vor Gott gleich sind und damit auch für alle Sakramente und kirchlichen Ämter ohne Einschränkung gleich zu sein haben? Warum zieht sich der Kardinal bei der Frage nach 25 Jahren Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche auf eine Antwort zurück, dass Macht immer auch Missbrauch provoziere, statt zu sagen, dass ein Priester der des Missbrauchs überführt wurde - Kirchenrecht hin oder her - einfach kein Priester mehr sein kann?
Wieso sieht der Kardinal in der derzeit nötigen Einschränkung der Bürgerrechte offenbar nur Gutes? Warum stellt er sich nicht die Frage, ob wir uns nach Corona überhaupt noch in den Arm nehmen werden? Ob wir uns überhaupt wieder mit Hand oder Kuss grüßen werden?
Warum reiht er sich zwar mit seinen Worten in die Danksagungen an die Mediziner, die in Sozialberufen, in Supermarkten tätigen und an die Reinigungskräfte ein, aber fordert nicht gleichzeitig ein vehementes Umdenken bei der finanziellen Bewertung von deren Arbeit? Warum sagt der Bischof von Wien nicht, wie ungerecht es ist, dass Menschen die mit Zinsen oder Aktien einfach dadurch Geld verdienen, weil sie Geld besitzen, aber die einfachen Berufe wohl auch nach Corona im Niedriglohnsegment unterwegs sein werden?
Wieso dieses Winden bei der Frage nach Stundungen für Mieter in Immobilien, die sich im Besitz der Kirche befinden? Das kann doch nicht sein, dass die Kirche in diesem Zusammenhang davon abhängig ist, wie die Sozialpartner entscheiden. Es muss doch klar sein, dass die Kirche in solchen Tagen ihre Mieten stunden würde . . .
Wieso reagiert der Kardinal so spontan erschrocken und eindeutig ablehnend, als ihn Simone Stribl nach der Absage der Regierung vor nicht einmal einem Monat fragt, ob man denn Flüchtlinge von der griechisch-türkischen Grenze in Österreich aufnehmen sollte? Wie kann ein Seelsorger sagen, dass das jetzt nicht möglich wäre? Hätte ein katholischer Würdenträger auf diese Frage nicht antworten können: "Ja, man fragt sich schon, warum es keinen ähnlichen gesellschaftlichen Schulterschluss zur Rettung von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen gab, wie jetzt rund um den Coronavirus."
Man stellt sich auch die Frage, wo die uneingeschränkte Solidarität mit diesem Kanzler herkommt, wenn er ihn explizit dafür lobt, dass dieser die Hilfe für China initiiert hätte. Derselbe Kanzler, der sich despektierlich über die Caritas geäußert hat, derselbe Kanzler, der mit HC Straches FPÖ in Koalition ging und damit unter anderem jenen Nationalbankdirektor mitzuverantworten hat, gegen dessen Aussagen zur Bereinigung der Firmenlandschaft in Österreich sich der Kardinal in der "Pressestunde" explizit gewandt hat.
Zum Ende der Sendung erwähnte Kardinal Schönborn zwei Persönlichkeiten: Helmut Schüller und Kardinal König. Man möge sich deren Antworten und deren Visionen auf obige Fragen von Simone Stribl und Doris Helmberger-Fleckl vorstellen.
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Hochgeschätzer und sonst doch auch so zukunftsorientierter Kardinal Christoph Schönborn - ich bitte diesen respektlosen Kommentar zu entschuldigen und dahingehend zu verstehen, dass meine vier Kinder und meine Enkelin einen Bischof brauchen, der Lust auf eine andere Zukunft vermittelt, und keinen Kardinal, der die Unzulänglichkeiten der Gegenwart zwar nicht gutheißt, aber eben "erträgt".