US-Präsident Obama schmiedet eine Anti-Terror-Allianz.
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Bagdad. Begeistert ist Shirouk Abayachi nicht über die neue Regierung in Bagdad. Die Posten des Verteidigungs- und Innenministers sind noch nicht besetzt, und außer dem kurdischen Staatspräsidenten sind die Kurden nur noch mit ihrem ehemaligen, langjährigen Außenminister, Hoshiar Zebari, vertreten, der Vizepremier wurde. Zeitweise drohten deren Abgeordnete gar die Parlamentssitzung zu verlassen. Auch zwischen den anderen Fraktionen gab es Streit. Die schiitische Badr-Partei konnte ihren Kandidaten für den Posten des Innenministers nicht durchbringen. Der ehemals mächtige Ölminister Hussein al-Sharistani wollte sich nicht mit dem Hochschulministerium zufriedengeben.
Provisorische Lösung
Das Feilschen auf dem politischen Basar im Irak nach Saddam Hussein ist also noch nicht zu Ende. Trotzdem meint Shirouk Abayachi, die Abgeordnete der kleinen Partei "Allianz für zivile Demokratie", dass nun ein Anfang gemacht ist. Als am späten Montagabend 177 Abgeordnete (166 waren nötig) für die halbfertige Kabinettsliste des designierten Premierministers Haidar al-Abadi stimmten, überwog auch bei der österreichischen Irakerin erst einmal Erleichterung. Nuri al-Maliki ist aus der politischen Verantwortung weitgehend raus. Er ist jetzt einer von drei Vizepräsidenten. "Mit Maliki an der Spitze hätte es keine politische Lösung gegeben", ist Shirouk sicher. Irak durchlaufe die schlimmste Krise seit acht Jahren. Damals wurde der 64-jährige Schiit zum ersten Mal Premierminister. Seitdem wurden die Konfrontationen zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen Iraks immer härter. Maliki legte sich mit allen an: "Die Lösung beginnt jetzt - nach Maliki."
Vor zehn Jahren kam die 56-jährige Shirouk aus Wien in ihre Geburtsstadt Bagdad zurück und wollte eigentlich nur ihre Mutter besuchen. 24 Jahre hatte sie in Österreich gelebt, hat die Staatsbürgerschaft angenommen, geheiratet und einen Sohn großgezogen. "Bagdad lag in Ruinen", erinnert sie sich, "die Menschen waren müde und ich war schockiert." Sie musste bleiben und helfen ("Wiener Zeitung" vom 29. Juni 2014). Jetzt hat die Bauingenieurin bei den Parlamentswahlen am 30. April auf Anhieb einen Platz im irakischen Parlament gewonnen. Die erste Sitzung der neuen Volksvertreter war für den Parlamentsneuling ein Ereignis. "Es war bewegend für mich, als alle aufstanden und die Nationalhymne gespielt wurde." Zum ersten Mal spürte Shirouk so etwas wie nationale Identität. Im Irak ist das keine Selbstverständlichkeit. Die meisten der 33 Millionen Einwohner zwischen Euphrat und Tigris fühlen sich entweder ihren Ethnien oder Religionen zugehörig. Als Iraker bezeichnen sie sich nur im Ausland. Entsprechend ist auch immer noch das Wahlverhalten. Übergreifende Parteien wie Shirouks "Allianz für zivile Demokratie", die säkular geprägt, Kurden, Araber und Christen vereinen, haben noch keine breite Zustimmung erfahren. Lediglich vier Sitze konnte die Shirouks Allianz erringen. Und doch käme gerade kleinen Parteien eine wichtige Rolle im Machtpoker zu. "Sie sind gut als Vermittler, um die Balance herzustellen."
Kooperation mit Stämmen
Das haben die letzten Wochen gezeigt. Shirouks Parteifreund Mithal al-Alusi hatte unzählige Treffen bei ihm zuhause, in denen eine Kompromisslinie zwischen den zerstrittenen großen Fraktionen von Schiiten, Sunniten und Kurden gesucht wurde. Das Nachrichtenportal "IraqiNews" veröffentlichte gestern ein 20-Punkte-Papier, das zur Konsensbildung erarbeitet wurde und Voraussetzung für die Regierungsbildung sein sollte. Demnach wird die Zentralregierung in Bagdad fortan eine umfangreiche Kooperation mit bewaffneten Stammesführern in den Sunnitenprovinzen anstreben. Den Provinzen solle mehr Selbstständigkeit eingeräumt werden, indem sie selbst über Spezialkräfte für ihre Sicherheit bestimmen können. Die zuletzt unter Premier Maliki verheerende Konfrontation zwischen Bagdad und den Provinzen gipfelte in dem Vorwurf, die irakische Armee sei einseitig schiitisch ausgerichtet und würde Sunniten diskriminieren.
Konzessionen an Sunniten
Der neue Premier Abadi will jetzt auf die Sunniten zugehen und ihnen den Schlüssel für die Sicherheit in ihren Regionen selbst in die Hand legen. Das ist auch dringend notwendig, denn dort hat sich seit Anfang Juni die Terrorgruppe IS breitgemacht und ein Kalifat nach strengen islamischen Regeln errichtet. Die Soldaten der irakischen Armee haben in großer Zahl die Kampfzone verlassen. Momentan ist einzig die kurdische Peschmerga eine verlässliche Größe im Kampf gegen die Dschihadisten. Abadi habe außerdem zugesagt, Gebiete, die von IS im Kampf mit der irakischen Armee zerstört wurden, schnellstens wieder aufbauen zu lassen, so "IraqNews".
Auf dem neuen Premier liegt eine ungeheure Last. Abadi muss all das wiedergutmachen, was Maliki eingebrockt hat. Er muss das Verhältnis zu den Sunniten reparieren und für die Kurden einen Kompromiss finden. Drei Monate hat er dafür Zeit. So lange wollen die Kurden stillhalten und ihm eine Chance zu einer einvernehmlichen Lösung geben. Es geht um Öl und dessen Export, um die Verteilung der Erlöse. Es geht um Kirkuk und die Verwaltungszugehörigkeit der reichen Ölstadt. Und es geht um mehr Selbstständigkeit in den Entscheidungen, was die kurdischen Provinzen im Nordosten des Landes betrifft. Die Kurden drängen auf die Einhaltung des Prinzips eines föderalen Staates, der zwar in der irakischen Verfassung verankert, aber nie verwirklicht wurde. Ex-Premier Maliki pochte auf die Rolle des Zentralstaates. Autonomiebestrebungen der Provinzen erteilte er stets eine rüde Absage. Als die ersten Demonstrationen gegen ihn und die Zentralregierung in Bagdad vor zwei Jahren in der Sunnitenprovinz Anbar friedlich begannen und auch aus Mosul Forderungen nach mehr Selbständigkeit für Nineve laut wurden, wischte er die Anträge der jeweiligen Gouverneure kompromisslos vom Tisch. Er verlangte Gehorsam gegenüber Bagdad. Die Hauptstadt sollte das alleinige Sagen über die Zukunft des Landes haben. Deshalb glaubten viele Iraker in Maliki einen neuen Saddam, einen neuen Diktator zu sehen. Auch deshalb jubelten viele zunächst den IS-Terroristen zu, als sie Mosul, Tikrit und andere Städte einnahmen und deren Einwohner vom "Joch Bagdads" befreiten.
Maliki selbst sitzt nun umgeben von seinen Erzfeinden Ijad Allawi und Osama Nujaifi am Tisch des Präsidenten Fuad Masum. Während Allawi nach der letzten Wahl 2010 von Maliki kaltgestellt wurde, stieg Nujaifi als Parlamentspräsident zum einflussreichsten sunnitischen Politiker auf und bedrohte Malikis Stellung. Beschimpfungen und Verleumdungen waren die Folge. Ein von Maliki initiiertes Misstrauensvotum gegen Nujaifi im Parlament scheiterte nur knapp. Nun muss Masum versuchen, seine drei Stellvertreter dazu zu bewegen, gemeinsam gegen den Terror und IS zu agieren und ihre Anhänger nicht gegeneinander, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sondern miteinander zu mobilisieren. Denn nur so wollen die USA sich wieder stärker im Irak engagieren.
Anti-Terror-Allianz
Präsident Barack Obama will hierfür eine Anti-Terror-Allianz aus zehn Ländern schmieden. Vergleiche mit der "Koalition der Willigen" von Ex-Präsident Bush, die 2003 in den Irak einmarschierte, seien jedoch unangebracht, so die US-Regierung. "Wir wollen auf keinen Fall, dass dies daran erinnert, was 2003 gemacht wurde", sagt Außenamtssprecherin Marie Harf. Es werde nun "nicht dasselbe Strategienhandbuch" benutzt. Die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen, Australien, Dänemark, Kanada und die Türkei wollten lediglich gemeinsam gegen die IS-Dschihadisten vorgehen, die Teile des nördlichen Iraks und Syriens kontrollieren.