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Herr der Schlösser und Affären

Von Reinold Reis

Politik

Paris - Für Jacques Chirac soll der heutige Freitag ein Tag sein wie fast jeder andere auch: Am Vormittag trifft er Chinas Vizepremier Li Lanqing, am Nachmittag sitzt er zwischen Tennis-Fans im Sportpalast Paris-Bercy und drückt Frankreichs Team zum Auftakt des Daviscup-Finales gegen Russland die Daumen. Würde und Bürde seines Amtes wird der französische Präsident also auch an seinem 70. Geburtstag verspüren. Dabei hat der Polit-Routinier im Elysee-Palast allen Anlass zum Feiern - doch das soll im Wesentlichen Privatsache bleiben. An sein Alter wird Chirac nicht gern erinnert.


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Wenn er in diesen Tagen Bilanz zieht, kann sich der Staatschef zufrieden zurücklehnen: Nach seinem Doppelsieg in Frankreichs zu Ende gehendem Superwahljahr hat er bis 2007 freie Bahn und kann auf der politischen Bühne schalten und walten, wie es ihm beliebt. Chirac gelang zuletzt fast alles, was er anfasste. Er hat mit Jean-Pierre Raffarin einen populären Regierungschef installiert, mit der rechten Einheitspartei UMP eine solide Machtbasis geschaffen und mit UMP-Chef Alain Juppe einen ehrgeizigen und ihm treu ergebenen "Kronprinzen". Kaum jemand stört sich laut daran, dass Chirac in Johannesburg mit Inbrunst als Verfechter von Ökologie, Nachhaltigkeit und Entwicklungshilfe auftrat und Wochen später mit gleicher Verve in Brüssel die Subventionen der französischen Agrarindustrie durchboxte.

In der Weltpolitik hält Chirac unbeirrt und selbstbewusst die französische Fahne hoch und gibt sich als die unabhängige Stimme Europas. Damit punktete er zuletzt klar gegen seinen US-Kollegen George W. Bush und dessen Kriegskurs. Auf der europäischen Bühne rasselte der Franzose Ende Oktober kräftig mit dem britischen Premier Tony Blair zusammen. Vorgeblich ging es um die EU-Finanzen, tatsächlich wohl vor allem um die von Blair befürchtete Dominanz Chiracs und der ebenso kurzfristig wie spektakulär wiederbelebten deutsch-französischen Achse.

Das Gezänk vom Brüsseler EU-Gipfel wurde publik. Schon beim NATO-Gipfel in Prag vergangene Woche zeigten sich der Franzose und der Brite wieder einträchtig und gut gelaunt. Blair schenkte dem bald ältesten amtierenden Staatsmann im Club der mächtigen Staaten zum 70. schon mal einen "Churchill"-Füller.

Mit dem edlen Schreibwerkzeug könnte Chirac eine Menge pikanter Details zu Papier bringen. Als langjähriger Bürgermeister von Paris und Chef der inzwischen mit Liberalen und Christdemokraten zur UMP verschmolzenen Neogaullisten-Partei RPR hängen ihm Affären nach wie sonst wohl nur Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi. Illegale Parteienfinanzierung, Vetternwirtschaft und Vergeudung öffentlicher Mittel stehen im Raum. Doch sein hohes Amt schützt den Chirac vor den Nachstellungen zahlreicher Untersuchungsrichter, vermutlich auch noch, wenn er im Mai 2007 nach zwölf Jahren die Präsidentschaft abgeben wird.

Der glänzende Staatsmann Chirac als schillernder Machtpolitiker und Lebemann mit reichem Privatleben: An die Facetten und auch persönlichen Affären des Konservativen, dem eine große Zahl von Liebschaften nachgesagt wird, haben sich die Franzosen längst gewöhnt. Stets lebte der Spross einer Pariser Bankiersfamilie aus dem schicken fünften Arrondissement auf großem Fuß, sein Privatvermögen ist beträchtlich. In Südfrankreich besitzen seine Frau, die Landadelige Bernadette Chaudron de Courcel, und er seit Jahrzehnten ein unter dubiosen Umständen erworbenes Schloss.

Auch der Elysee-Palast heißt passenderweise "das Schloss". Hier sitzt Chirac seit dem Sieg seiner Rechtsbürgerlichen bei der Parlamentswahl im Juni wie ein absoluter Herrscher. Dabei hatte er zuvor bei der Präsidentschaftswahl im ersten Durchgang nicht einmal 20 Prozent der Stimmen bekommen und wurde erst im Stechen gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen triumphal im Amt bestätigt.