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Auf Twitter regiert die Empörung, Fakten sind dabei oft zweitrangig.
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Wien. Auf Twitter ist Michel Reimon ein Kapazunder. Mehr als 8600 Follower hat der Landtagsabgeordnete der burgenländischen Grünen dort - damit ist er unter den österreichischen Politikern klare Nummer eins. Allerdings ist auch Reimon vor einem auf Twitter weitverbreiteten Phänomen nicht gefeit: übertriebene Empörung. Dabei spielen Fakten im Kurznachrichtendienst oft nur eine untergeordnete Rolle.
Jüngstes Beispiel: Am Montag echauffierte sich Reimon über einen Brief der SPÖ-Gemeinderäte von Loosdorf (NÖ) an die Bewohner einer Wohnsiedlung, in dem aufgelistet wird, dass von den 458 Bewohnern nur 38 "keine österr. Staatsbürgerschaft" haben. Weiters wird ausgeführt, dass von den 24 in den letzten zwei Jahren vergebenen Wohnungen in der Siedlung "keine an Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft" vergeben wurde.
Für Reimon ein klarer Fall: Die SPÖ versuche, die FPÖ rechts zu überholen und betreibe "Hetze", das Flugblatt bediene Rassismen und suggeriere, "dass Ausländer in der Siedlung schon ein Problem wären". Gefragt, ob er denn die Hintergründe des Briefes kenne, erklärt er auf Twitter lapidar: "Ich kritisiere die Formulierung, die kenne ich."
Bürgermeister: Briefals Reaktion auf Hetze
Die "Wiener Zeitung" wollte es genauer wissen und fragte bei Josef Jahrmann, SPÖ-Bürgermeister von Loosdorf, nach. Demnach zielt das Schreiben der roten Gemeinderäte keineswegs auf Ressentiments gegen Migranten ab, ganz im Gegenteil. Man habe mit den Zahlen die Fakten richtigstellen wollen, so Jahrmann. In letzter Zeit sei nämlich "von dritter Seite ständig verbreitet worden, die Siedlung werde mit Ausländern angefüllt". Mit falschen Zahlen und "durchsichtigen Motiven" habe man versucht, Ausländerhass zu schüren, so der Bürgermeister. Er vermutet Freiheitliche hinter entsprechenden anonymen Schreiben. Diese hatten als Reaktion auf vermehrte Einbrüche in der Gegend die Schaffung einer Bürgerwehr gefordert.
Reimon: Brief
bedient Rassismen
Dass an Ausländer keine Wohnungen vergeben werden, bestreitet Jahrmann: Einziges Kriterium für die Vergabe einer der betreffenden Genossenschaftswohnungen seien "soziale Gesichtspunkte, die Staatsbürgerschaft spielt keine Rolle." In den vergangenen zwei Jahren habe es nur eine Anfrage von Nicht-Österreichern gegeben. Diese habe man abgelehnt, allerdings zwei alternative Wohnmöglichkeiten angeboten.
Reimon bleibt bei seiner Kritik: Das Schreiben der SPÖ bediene Rassismen und sage zwischen den Zeilen "Ausländer sind schlecht". Wenn die SPÖ gegen Hetze auftreten wolle, müsse sie sagen "Rassismus ist schlecht", nicht "es sind eh keine Ausländer da".