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"Herr Vorsitzender, Aufgabe erfüllt!"

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Machtwechsel in Polen vollzogen. | Kaczynski schlägt versöhnlichere Töne an. | Koalitionsverhandlungen fortgesetzt. | Warschau. Für Adrianna wurde der Albtraum wahr. Wie die junge Biologin befürchtet hatte, wachte sie am Montag im "Entenland" auf. Die Kaczynski-Brüder, die von vielen Polen in Anlehnung an ihren Nachnamen "Enteriche" genannt werden, haben Spitzenpositionen im Staat übernommen. Gemeinsam führen sie die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bei der Parlamentswahl vor vier Wochen stimmenstärkste Fraktion wurde. Und am Sonntag wurde einer der Zwillinge, Lech Kaczynski , zum künftigen Staatspräsident Polens gewählt. Der andere, Parteivorsitzender Jaroslaw Kaczynski hatte zuvor auf das Amt des Premiers verzichtet, um die Chancen seines Bruders nicht zu verringern.


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Die Rechnung ging auf: 54,04 Prozent der Wähler stimmten für den Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski, 45,96 votierten für Donald Tusk von der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO). Die Wahlbeteiligung war nur minimal höher als beim ersten Wahldurchgang vor zwei Wochen: Sie betrug gerade einmal 51 Prozent.

Kaczynski will "aktiver" Präsident sein

Der Machtwechsel in Polen ist vollzogen. Schon bei der Parlamentswahl wählte Polens Bevölkerung das bisher regierende Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) ab und machte PiS und PO, zwei Parteien des rechten Flügels - der seine Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc hat - zu den stimmenstärksten Fraktionen. Die Präsidentschaftswahl zementierte die Entscheidung.

In seiner ersten Ansprache nach der Wahl dankte Lech Kaczynski seiner Familie und allen Mitarbeitern. Dann wandte er sich an seinen Zwillingsbruder: "Herr Vorsitzender, ich melde, die Aufgabe ist erfüllt!" Und während er im Wahlkampf mit nationalistischen und europaskeptischen Parolen aufgefallen war, schlug er kurz darauf versöhnlichere Töne an. Er werde die Gräben in der polnischen Gesellschaft zuschütten, erklärte Kaczynski in einem Interview mit der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".

Gleichzeitig kündigte er an, ein "aktiver Präsident" sein zu wollen. Immerhin hat das Staatsoberhaupt in der Innenpolitik gewisse Mitspracherechte. So hat er die Möglichkeit, gegen ein Gesetz (ausgenommen ist der Budgetvorschlag) Veto einzulegen - das das Parlament nur mit drei Fünftel der Stimmen aufheben kann. Ebenso kann er ein Referendum initiieren. Ein Thema dafür hat Kaczynski schon parat: Polen könnte im Jahr 2010 über die Euro-Einführung abstimmen, meinte er.

Europäische Integration fortgesetzt?

Auch in der Außenpolitik will der künftige Präsident eine aktive Rolle spielen. Wiederholt sprach er sich gegen die Errichtung eines Zentrums zum Gedenken an die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Und schon im Wahlkampf trat er für ein "selbstbewussteres" Auftreten Polens gegenüber seinen Nachbarn Deutschland und Russland auf.

Mag Nationalismus in vielen westlichen Staaten Erinnerungen an verheerende Folgen wecken - in einem Land, das jahrzehntelang im Untergrund für seinen Selbsterhalt kämpfen musste, fällt er in weiten Teilen noch immer auf fruchtbaren Boden.

Dennoch erwarten der deutsche Bundespräsident Horst Köhler und der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder keinen Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen. Auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso äußerte die Hoffnung, Polen werde seine Politik der europäischen Integration uneingeschränkt fortsetzen. Kaczynskis lautes Nachdenken über die Wiedereinführung der Todesstrafe hat Brüssel aber verurteilt: Dies sei mit den Prinzipien der EU nicht vereinbar.

Die Kaczynski-Brüder sind pragmatisch genug, zu wissen, dass der von ihnen propagierte Sozialstaat auf die Stärke der Wirtschaft nicht verzichten kann. Immerhin betrug das Wachstum im Vorjahr rund fünf Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt aber weiter bei etwa 18 Prozent, die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt seit Jahren fast gleich.

Dies ebenso zu überwinden wie die Teilung des Landes in PiS- und PO-Wähler - die vor allem im Westen, in Städten, in der Mittelschicht und unter jüngeren Wählern zu finden sind - wird eine der Herausforderungen für PiS sein. Ausgleichend könnte dabei auch die Bürgerplattform wirken, mit der PiS eine Regierungskoalition anstrebt.

Doch auch wenn die Koalitionsverhandlungen, die die Präsidentschaftswahl zum Stillstand gebracht hatte, wieder begonnen haben - etliche PO-Mitglieder können ihr Misstrauen gegenüber PiS kaum verhehlen. Zu sehr hängen die Kaczynski-Brüder an der Macht, heißt es.

Jedenfalls erwarte die Bürgerplattform von PiS jetzt bedeutend größere Programmzugeständnisse als im Fall des Sieges des PO-Kandidaten, erklärte der mögliche künftige Vizepremier Jan Rokita nach einem Gespräch mit dem designierten Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz (PiS). Nun beraten Experten der beiden Parteien über die Grundlagen des Wirtschaftsprogramms der künftigen Regierung. Diese könnte in knapp zwei Wochen stehen.