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"Herrgott, das muss man sagen!"

Von Hermann Sileitsch

Politik

Berlin sollte auch seine Zinsvorteile erwähnen, findet "Mister Euro" Waigel.


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Wien. Die EU und der Euro, zu allererst ein Friedensprojekt: So sieht das nicht nur das Nobelpreiskomitee. Auch Theodor Waigel, deutscher Bundesfinanzminister zur Zeit der Euro-Vorbereitung und dessen Namensgeber, hält diesen Aspekt für zentral: "Mein Großvater hat drei Kriege erlebt, mein Vater in zwei Weltkriegen gekämpft, mein Bruder ist mit 18 Jahren in gefallen. In welcher Welt lebten die, in welcher dürfen wir leben?"

Diesen Aspekt vermisst er in den EU-Debatten, die sich an der Bürokratie in Brüssel oder Krisenkosten verbeißen, sagte er bei einem Vortrag bei der Hypo Niederösterreich. Dabei erhalte Deutschland so billige Kredite wie nie: "Ich würde mir wünschen, dass der deutsche Finanzminister einmal sagt, wie viel er bei der Finanzierung seiner Staatsschätze in den letzten Jahren profitiert hat." Über die Hilfe für Athen gebe es "Riesendebatten", dabei seien die Ersparnisse viel höher: "Herrgott, das muss man an den Stammtischen mal sagen! Manchmal hab ich den Eindruck, ich bin allein."

Im Rückblick werde Europas Währungssystem vor dem Euro verklärt - mehr als 20 Mal sei es zu Turbulenzen samt Auf- und Abwertungen gekommen. "Wir wären mit 30 Währungen in Europa ein Spielball der großen Blöcke." Hilfsaktionen seien nichts Neues: Schon 1993 habe die Bundesbank mit 90 Milliarden D-Mark massiv zugunsten des französischen Franc interveniert. Mit Erfolg.

Für "Hilfe zur Selbsthilfe"

Waigel wehrt sich gegen Vorwürfe, der Euro sei mit Geburtsfehler auf die Welt gekommen. "Das war keine Sturzgeburt, sondern 20 Jahre vorbereitet. Es sind aber eklatante Erziehungsfehler am pubertierenden Kind erfolgt." Der gravierendste sei 2004 und 2005 passiert, als Deutschland und Frankreich gegen den Stabilitätspakt verstießen: "Statt sich anzustrengen, haben sie den Pakt verwässert."

Ein Fehler war auch die Aufnahme Griechenlands (nach seiner Zeit). "Jetzt ist das Land wie ein blinder Passagier an Bord. Was tut man da, mitten auf dem stürmischen Ozean?" Er sei für "Hilfe zur Selbsthilfe" und unterstütze trotz prinzipieller Bedenken die Notfallaktionen der Europäischen Zentralbank.

Der Idee von Eurobonds, also einer gemeinsamen Schuldenaufnahme, kann Waigel nichts abgewinnen. "In Familien gibt es schwarze Schafe, denen gebe ich keinen unbegrenzten Zugriff auf mein Konto." Auch, dass Deutschland die Zügel schleifen lässt, damit sich andere Länder leichter tun, sei undenkbar: "Stellen Sie sich vor, ich hätte zu Annemarie Moser-Pröll gesagt: Jetzt fahr ein bisserl langsamer, dass dich die Irene (Waigels Ehefrau, Ex-Skiläuferin Irene Epple) überholt. Das hätte wohl kaum die volle Zustimmung der Österreicher gefunden."