Wie ein taiwanesisch-österreichischer Komponist asiatischen Studenten die Anpassung lehrt.
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Wien. Herr Shih hat keinen Vornamen. Seit 1990. Das war der Zeitpunkt, als der gebürtige Taiwanese vor der westlichen Welt kapituliert hat. Seither nennen ihn Freunde "Shih". Und Fremde "Herr Shih". Seinen Vornamen könne niemand aussprechen und schreiben, erklärt der 64-jährige Komponist. Seit seinem 24. Lebensjahr lebt Herr Shih in Wien. Er hat hier an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Harfe und Komposition studiert. 1990 hatte er endgültig genug davon, seinen Vornamen zu buchstabieren, zu korrigieren und darüber hinwegzusehen, dass offenbar der Name eines anderen auf den Programmheften stand, die seine Musik ankündigen sollten. "Die Menschen sind alle Legastheniker", sagt er aufgebracht. Misstrauisch ist er, wenn sein Gesprächspartner mehrfach nach seinem Vornamen fragt. Nachdrücklich ringt er ihm das Versprechen ab, seinen Vornamen ja nicht zu publizieren. Vier Buchstaben reichen vollkommen. Alles andere ist sentimentale Eitelkeit.
Shih gehört zu den Fixgrößen der zeitgenössischen klassischen Musikszene Österreichs. Seine Werke umfassen Kammermusik, Ballettmusik und Orchesterwerke. Seine Kammeroper "Vatermord" wurde mehrfach ausgezeichnet. Außerdem ist Shih der Leiter des Pazifik Jugendorchesters Wien. Diesen Samstag feiert das Orchester sein zehnjähriges Bestehen mit einem Konzert im Festsaal des Amtshauses des 3. Wiener Gemeindebezirks am Karl-Borromäus-Platz.
Im Rahmen der Wiener Bezirksfestwochen spielen seine Schüler an diesem Abend Werke von Georg Friedrich Händel, Robert Schumann und Antonín Dvoržák sowie taiwanesische Volkslieder. Die Musiker stammen aus Taiwan, China und Japan und studieren an der Wiener Musikuniversität. Vor zehn Jahren haben sie ein Plakat des Komponisten im Musikhaus Doblinger im 1. Bezirk gesehen. Freundlich hat Shih gewirkt auf dem Poster. Mit der weißen Mähne, die im Wind flatterte. Vielleicht könnte der taiwanesische Komponist ihnen helfen, in der Fremde Fuß zu fassen. Sie ein bisschen aufbauen, wenn die Einheimischen sie in der U-Bahn Chinesen nennen - und es nicht freundlich meinen.
Den Akzent vermeiden
Streng ist Shih, wenn er von seinen "Kindern" spricht. "Die asiatischen Kinder sind brav, passiv und machen nur das, was der Professor ihnen sagt", kritisiert er. Ihnen fehle die Kreativität. Diese versucht Shih in seiner Wohnung jedes Wochenende aus ihnen herauszuholen. Er schiebt den großen Esstisch zur Seite und platziert seine 13 bis 18 Musiker in seinem Wohnzimmer: "In der Schule lernen sie nur die Technik. Der Stil ist etwas anderes und der ist nicht richtig. Er verhindert den musikalischen Ausdruck. Auch wegen der Sprache", erklärt er.
Shih hat einen Akzent. Auch wenn er ihn so gut es geht zu vermeiden versucht. Wenn er ein Buch liest, macht er sich Anmerkungen, die ihm helfen, die Worte richtig auszusprechen. Für Shih hat alles mit der Sprache zu tun. Selbst wenn seine Schützlinge die Technik perfekt beherrschen - solange sie die Sprache nicht können, spielen sie seiner Meinung nach auch die Musik falsch: "Sie betonen falsch." Das erklärt er damit, dass im Chinesischen zum Beispiel jede Silbe betont wird, während das im Deutschen nicht der Fall sei. Die sprachliche Betonung übersetzen die Studenten in die Musik. Dementsprechend laut klingen die Stücke dann. "Wie der Lärm auf einem Marktplatz."
Ebenso müssen die Schüler den Kontext verstehen, in welcher Zeit, in welcher Kultur jene Musik, die sie Tag für Tag im Unterricht lernen, entstanden ist. Shih erinnert sich noch gut daran, als er vor 40 Jahren nach Wien kam. Jeden Abend ging er in den Musikverein, hörte sich die großen Meister an, meist von einem Stehplatz aus. "Heute macht das kaum noch ein Student der Musikuniversität. Sie gehen zum Unterricht und nach Hause." Zu Beamten werden sie ausgebildet, nicht zu Künstlern, krtisiert Shih.
Eigentlich hätte er Ingenieur werden sollen wie seine Geschwister. Ein sicherer Beruf, meinten seine Eltern. Doch Shih hat sich für etwas anderes interessiert. Schon mit 14 Jahren hat er seine Mutter jeden Morgen in den Wahnsinn getrieben, weil er sich Opern von Richard Wagner in voller Lautstärke anhören wollte. "Schalt diesen Lärm aus", sagte seine Mutter dann immer. "Das gehört laut, das ist Wagner", antwortete der Sohn. Mit 15 Jahren wollte Shih dann selbst spielen. Seine Eltern stellten sich quer. Nichts sollte ihren Sohn ablenken von der Schule, schließlich war die Konkurrenz groß, nur die Besten schafften es auf das Gymnasium und später auf die Universität. Heimlich nahm er daraufhin Klavier- und Tanzstunden.
Shih und "seine" Kinder
Nachdem er seinen Militärdienst absolviert hatte, eröffnete er seiner Familie, dass er in Wien Musik studieren werde. "Ich habe gesagt: Ich brauche keine Frau, kein Kind, kein Haus, kein Auto - ich möchte nur Musik im Leben", erzählt er. Heute komponiert er, unterrichtet Volksschüler in einer Musikschule in Hainfeld in Niederösterreich und kümmert sich um seine asiatischen Schützlinge des Orchesters. Ein paar Wunderkinder hat er schon ausmachen können. Stolz ist er auf "seine" Kinder. Er will ihnen Impulse geben, wie er sagt, dass sie mehr sind als Techniker. Und dass sie überall spielen können. "Die Asiaten denken immer, sie haben keine Chance beim Vorspielen, weil sie Asiaten sind", sagt er. "Ich sage, das stimmt nicht so. Wenn du nicht zweifach, dreifach, aber dafür zehnfach besser bist, dann nehmen dich die Leute."