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"Alle Menschen wissen zu Beginn ihrer Jugendzeit, welches ihre innere Bestimmung ist. In diesem Lebensabschnitt ist alles so einfach, und sie haben keine Angst, alles zu erträumen und sich zu wünschen, was sie in ihrem Leben gerne machen würden. Indessen, während die Zeit vergeht, versucht uns eine mysteriöse Kraft davon zu überzeugen, dass es unmöglich sei, den persönlichen Lebensweg zu verwirklichen." | Aus Paulo Coelho: Der Alchimist.
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Zu den besten Momenten im Leben gehört es zweifellos, nach geschaffter mündlicher Matura den gratulierenden Lehrern die Hand zu schütteln. "Jetzt hab' ich es endlich hinter mir. Jetzt könnt Ihr mich alle - nicht länger sekkieren", wird sich so mancher denken, der da mit stolzgeschwellter Brust und dem begehrten Schrieb in Händen im Festsaal seiner Schule steht. Wie alle Momente vergehen auch die besten leider rasch. Auf Alkohol-exzessive Maturafeierlichkeiten und eine ebensolche Maturareise folgt bei fast jedem die Ernüchterung. Das mit großem Aufwand erreichte Ziel hinterlässt eine gähnende Leere, in die sich alsbald die eine, große Frage drängt:
Was - abgesehen vom Führerschein - mache ich jetzt?
Wer nicht mit 14 Jahren abgesprungen ist, um ein Handwerk zu erlernen oder in einen spezialisierten Schulzweig überzuwechseln, sondern sich im System der Allgemein Bildenden Höheren Schulen nach oben gestrebert/geschummelt hat, dem wurden die meisten Entscheidungen in Wahrheit ja abgenommen: Klar definierte Ziele, klar definierte Verhaltensregeln. Blick streng auf den jeweils nächsten Test, die jeweils nächste Schularbeit gerichtet. Die Frage, wofür man sich eigentlich besonders interessiert, brauchte sich in diesem System keiner zu stellen. Dafür blieb nämlich weder Zeit noch Gelegenheit. Im Gegenteil: Bisher war immer gerade dort besonders viel zu lernen, wo unsere Fähigkeiten gerade nicht lagen.
Sicher. Irgendwann im letzten Schuljahr waren ältere Menschen da, die haben erzählt, wie das so ist, wenn man Medizin, Jus oder technische Mathematik studiert. Die Eltern wissen natürlich auch ganz genau, was zu tun das Beste für einen wäre - vorzugsweise das nämlich, was sie selber zu tun verabsäumt haben.
Gelingt es doch einmal einem, in diesem selbsterkenntnisfeindlichen Milieu einen Berufswunsch zu formulieren, wird er oft nur milde belächelt: "Was? Schlagzeuger willst werden? Geh Bub, lern doch was G'scheites!" - "Romancier ist dein Ziel? Als ob's nicht schon genug Bücher gäbe." - "Durch die Welt willst' reisen? Aber Mädchen, wozu? In Österreich ist's doch am schönsten." Lebensträume werden schlecht geredet, ersetzt durch den ängstlichen Ratschlag, doch auf eine "sichere" Karriere zu setzen. Wie viele verhinderte Schlagzeuger letztendlich als Wirtschaftstreuhänder arbeiten und wie viele verhinderte Schriftsteller an der Mediamarkt-Kassa, weil sie (sich) auf dem Weg zur scheinbar sicheren Karriere aufgegeben haben, ist ungewiss. Dass es dem Gros der Menschen nicht gelingt, Berufung - wie das so schön heißt - zum Beruf zu machen, zeigt ein Blick in die Gesichter derer, die frühmorgens mit der U-Bahn zur Arbeit fahren. Dass freilich jeder Beruf Spaß machen kann, wenn man davon begeistert ist, zeigen die Lebensläufe auf den folgenden Seiten.
Was aber, wenn ich nun tatsächlich nicht weiß, welche Karriere ich einschlagen soll?
Zunächst einmal: Karriere bringt's ohnehin nicht. Schon allein aus einem etymologischen Grund. Das Wort leitet sich nämlich von "Pferde-Rennbahn" ab. Und - sind wir uns ehrlich - wer hat schon Lust, sein Leben lang im Kreis zu laufen? Zweitens: Auch wenn es sie noch vereinzelt geben mag, die Chirurgenkinder, denen Skalpell und Stethoskop bereits in die Wiege gelegt wurden und die fortan zielstrebig ihre Karriere bis in den OP des Allgemeinen Krankenhauses entlang laufen - der Regelfall ist das nicht.