Bonn · Zur Wahl steht am Sonntag in Hessen auf dem Papier allein der Sozialdemokrat Hans Eichel, doch auf dem Prüfstand steht auch der Bonner SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Gut hundert Tage | nach dem Wechsel in Bonn ist die Entscheidung der hessischen Wähler auch erster Stimmungstest für die rot-grüne deutsche Bundesregierung. Außerdem geht es um die Mehrheit von SPD und Grünen im | deutschen Bundesrat.
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Im Bundesrat verfügen die vier SPD-Alleinregierungen und die vier rot-grünen Koalitionen zusammen über 35 von 69 Stimmen; rechnet man die SPD/PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern dazu, sind es
sogar 38. Sollten aber die fünf hessischen Stimmen · entgegen den Umfragen · an CDU und FDP übergehen, wäre es mit dem derzeit herrschenden Gleichklang von Bundestag und Bundesrat vorbei. SPD und
Grüne verfügten dann nicht mehr über die absolute Mehrheit, die sie für Gesetze wie etwa die Steuerreform benötigen.
Wie sehr sich die Hessen von der Bundespolitik beeinflussen lassen, ist offen. Ministerpräsident Eichel setzte im Wahlkampf überwiegend auf landespolitische Themen und verwies unter dem Motto "Hessen
bleibt Erfolgsland" auf die hohe Wirtschaftskraft an Rhein und Main. Anders die CDU: Ihr zeitweise den "jungen Wilden" zugerechneter Spitzenkandidat Roland Koch versuchte, seiner Kampagne mit der
bundesweiten Unterschriftenaktion gegen doppelte Staatsbürgerschaft Schwung zu verleihen.
"Die Bilanz der Bundesregierung ist auch eine Hilfe für die Auseinandersetzung in Hessen", verkündete der deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) unter Hinweis auf die von der Regierung
Schröder eingeleiteten Reformen. Insgesamt vertrauen die hessischen Sozialdemokraten aber lieber auf ihre eigene Stärke als auf den unsicheren Boden der Hundert-Tage-Bilanz ihrer Bonner Genossen.
Unterstützung erhält Eichel dabei sogar vom Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, Volker Fasbender: "Hessen ist ein guter Standort."
Ausgerechnet die im Bund gerade erst geschlagene CDU-Opposition ist es, die ihren Landtagswahlkampf am stärksten auf die Bundespolitik ausgerichtet hat. Der Machtverlust der Union bei der
Bundestagswahl sei noch kein Beweis dafür, "daß sich die Wählerstrukturen grundsätzlich verändert haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist die hessische Landtagswahl ein echter Test", ist Koch
überzeugt. Inhaltlich konzentrierte sich die CDU dabei allerdings fast ausschließlich auf das Reizthema Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Daß Koch ausgerechnet mit der von Kritikern als
ausländerfeindlich gebrandmarkten Unterschriftensammlung Stimmen in der politischen Mitte gewinnen kann, halten Meinungsforscher jedoch für unwahrscheinlich. Umgekehrt dürfte aber eine deutliche
Niederlage der CDU beim bevorstehenden Urnengang in Hessen die Position des Bonner Parteichefs Wolfgang Schäuble schwächen.
Solche Probleme haben die in Land und Bund mitregierenden Grünen nicht. Sie warben mit dem frisch erworbenen Ansehen von Außenminister Joschka Fischer ebenso wie mit dem gemeinsamen Einsatz der
Grünen-Umweltminister von Bund und Land, Jürgen Trittin und Priska Hinz, für den Atomausstieg. Schließlich ist Hessen wie kein anderes deutsches Bundesland selbst ein Symbol für Rot-Grün. Im
Wiesbadener Landtag legte Fischer 1985 seinen Amtseid als bundesweit erster Grünen-Minister ab. AFP