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Heuchlerische Selbstzensur

Von Christian Mayr

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Der ORF hat den schweren Sturz des Tschechen Ondrej Bank nicht in der Wiederholung gezeigt - obwohl er vielleicht Gold-entscheidend war.


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Fassen wir nüchtern die Fakten zusammen: Der tschechische Skifahrer Ondrej Bank stürzt nach einem Fahrfehler beim Zielsprung der WM-Kombinationsabfahrt schwer und bleibt regungslos im Auslauf liegen. Weil er das letzte Tor gerammt hat, wird der Medaillenkandidat aus der Ergebnisliste gestrichen - somit darf Marcel Hirscher im Slalom statt mit Nummer 31 mit der vorteilhaften Nummer 1 ins Rennen gehen. Die Gunst der Stunde nutzend, rast der Salzburger zu Kombinationsgold. Und vergisst im Siegesjubel fairerweise nicht, diesen Sturz als mitentscheidend zu erwähnen und seinem Kollegen die besten Genesungswünsche auszurichten. Nun wäre es doch völlig normal, diese wichtige Rennszene den Zuschauern zu zeigen - allein, der ORF weigerte sich am Sonntag beharrlich, Banks Sturz zu wiederholen und zu analysieren. Um gleich vorauszuschicken, hier geht es nicht um geifernden Voyeurismus, der Rennsportopfer in Superzeitlupe beim Überlebenskampf bloßstellt. Daher haben die Kameras - als der Verletzte im Zielraum versorgt wurde - auch richtigerweise weggeblendet, weil zu befürchten stand, dass der Tscheche wiederbelebt werden muss. Allerdings hatte die Öffentlichkeit berechtigtes Interesse zu erfahren, wo Bank denn verletzt sein könnte (landete er auf dem Kopf, dem Rücken, hat er sich das Knie verdreht?) - doch nach der spontanen Entscheidung des Reporterduos Oliver Polzer und Hans Knauß wurde nur die Genese des Sturzes analysiert. "So, und hier jetzt bitte nicht weiter", gab Ex-Fahrer Knauß dann die ORF-Linie aus, die auch im Internet sowie am Tag danach noch strikt eingehalten wurde. Obwohl längst klar war, dass Bank nicht gröber verletzt wurde und nicht einmal die Nacht im Spital verbrachte. Sein auf Facebook gepostetes zerschundenes Gesicht zeigte der ORF dann übrigens ohne Skrupel her. So wie der Sender zuvor auch die aufgefetzte Wade Bode Millers samt Horrorsturz im Super G den TV-Konsumenten vorführte. Und es gibt etliche Beispiele, die die plötzliche Selbstzensur als heuchlerisch entlarven: Thomas Morgensterns Unfall am Kulm beispielsweise, der ihn auf die Intensivstation brachte und letztlich seine große Karriere beendete, wurde völlig zu Recht auch ausgestrahlt. So wie zuletzt beim Kitzbühel-Jubiläum all die brutalen Stürze von Hans Grugger bis Daniel Albrecht eingespielt wurden. Und man stelle sich vor, Hermann Maiers Abflug in Nagano würde televisionär an der Kante enden: "So, und hier jetzt bitte nicht weiter"... Das Nicht-Zeigen ist vor allem dann heuchlerisch, wenn dieselben Kommentatoren zuvor noch vom spektakulären Zielsprung schwärmen, der bis zu 70 Meter weit gehe, bei einem Luftstand von fünf Metern. Wenn man dann die gefährlichen Auswirkungen bei Tempo 110 wirklich sieht, blendet man aber weg?! Stürze, gefährliche, karrierefinalisierende, mitunter sogar tödliche, gehören einfach zur DNA des Abfahrtslaufes dazu - darum ist er die Königsdisziplin und nicht etwa der Riesentorlauf. Macht das Beispiel von Beaver Creek Schule und man zeigt solche Stürze nicht mehr, tut man dem Rennsport gewiss nichts Gutes. Und wo endet das Ganze? Dass künftig fünf Sekunden zeitversetzt übertragen wird, um solche Horrorstürze dann dem TV-Konsumenten gar nicht mehr zuzumuten? Das wäre mehr Horror als jeder Sturz, denn die Wahrheit ist den Zusehern zumutbar. Und das gilt absolut.