Es ist eine Schande, dass Medien begierig die Happen, die Politiker ihnen zuwerfen, auffangen, ohne nachzufragen.
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Kaum glaublich, was in der österreichischen Öffentlichkeit alles als Studie akzeptiert wird. Da berichtet die Finanzministerin über eine angeblich in ihrem Ministerium verfasste Studie, nach der der Wirtschaftsstandort Österreich gefährdet sei, eine ganze Reihe von Firmen in den letzten Jahren abgewandert sei und viele, viele (70.000!) Arbeitsplätze verloren gegangen seien - und dies alles, weil der Koalitionspartner dauernd höhere Steuern verlangt.
Eilfertig berichten der ORF und die Printmedien über diese "Studie", zitieren auch den Bundeskanzler, den Finanzstaatssekretär und den Wirtschaftsminister, dass im Gegenteil in den vergangenen Jahren viel mehr Unternehmen zu- als abgewandert seien. Niemand scheint zu hinterfragen, was es wirklich mit der von der Finanzministerin zitierten "Studie" auf sich hat, nur im ORF wird einmal ein halbseitiges faksimiliertes Blatt gezeigt, das angeblich diese "Studie" enthält. Zudem haben bereits einige in dieser "Studie" als abgewandert genannten Unternehmungen dies bereits heftig dementiert.
Versuche des Autors, in den Besitz dieser Studie zu kommen, sind gescheitert. In der zuständigen Abteilung für Wirtschaftspolitik weist man jede Autorschaft von sich und hat diese Studie nie gesehen, sie auch nicht in Auftrag gegeben. Woher kommen also die zitierten Daten? Wer hat sie im Ministerium evaluiert? Worauf gründen sich die doch sehr krassen Aussagen der Finanzministerin, die sichtlich nicht geeignet sind, weiteren ausländischen Unternehmen den Standort Österreich schmackhaft zu machen?
Es ist eine Schande, dass Medien begierig die Happen, die Politiker ihnen zuwerfen, auffangen, ohne nachzufragen, ohne die Qualität der Aussagen zu überprüfen, ohne zu fragen, wofür das Geld der Steuerzahler ausgegeben wird, wenn es stimmt, dass diese "Studie" aus dem Finanzministerium selbst stammt.
Als langjährig im Finanzministerium (BMF) für die Auftragsvergabe von Studien, beziehungsweise die Anfertigung von eigenen Untersuchungen im wirtschaftspolitischen Bereich Verantwortlicher (1995 bis 2008 mit Unterbrechung 2002 bis 2004) liegt mir die Qualität von im BMF gemachten Aussagen sehr am Herzen - auch wenn mir bewusst ist, dass alle Minister, unter denen ich gedient habe, eher unterstützende als kritische Aussagen präferierten. Dies führte so weit, dass meiner Abteilung unter dem Finanzminister der frühen Tausenderjahre die Gelder für Auftragsvergabe gestrichen wurden und solche Aufträge nur mehr vom Kabinett direkt vergeben wurden. Sogar die inhaltliche Kritik durch die Beamten an einer so vergebenen "Studie" mit kläglichem wissenschaftlichen Gehalt wurde von diesem Kabinett verhindert. Ein Trauerspiel, welches dem hohen inhaltlichen Kompetenzgrad der meisten im Finanzministerium Beschäftigten Hohn spricht.
Das wahre Trauerspiel jedoch ist die Willfährigkeit und geringe Nachfrageintensität der österreichischen Medien, die damit seriöse Untersuchungen im Misskredit bringen. Ein bisschen mehr Selbstvertrauen, in ihrer Rolle als kritischer Informationsgarant, als Korrektor und Kontrollor der Politik aufzutreten, wäre auch in Wahlkampfzeiten angebracht.