Kritische ägyptische Medien werden zunehmend gleichgeschaltet.
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Kairo. Mohamed Fahmy hat es am härtesten getroffen. Der Bürochef des englischsprachigen Programms des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera hat im Tora-Gefängnis in Kairo eine "Sonderbehandlung" erhalten. Er musste auf dem nackten Boden seiner Gefängniszelle schlafen. Sogar die Decke wurde ihm abgenommen. Um ihn herum krochen Kakerlaken. Die Zelle bekam kein Tageslicht. Seine Uhr hatten die Gefängniswärter beschlagnahmt, damit das Zeitgefühl abhanden kam. Die Schulter des Journalisten war verletzt und schmerzte.
Doch wochenlang durfte der Ägypter mit kanadischem Pass keinen Arzt konsultieren. Seine beiden Kollegen, die mit ihm zusammen am 29. Dezember 2013 aus einem Hotelzimmer im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt herausgeholt und inhaftiert wurden, durfte er nicht sehen. Erst als Anfang Februar der Druck der Öffentlichkeit stärker wird, legt man die drei Medienvertreter zusammen. Morgen (Donnerstag) soll ihnen nun mit 17 anderen Journalisten, die angeblich alle für Al-Jazeera gearbeitet haben sollen, der Prozess gemacht werden. Acht der Beschuldigten - darunter vier Ausländer - sitzen wie Mohamed Fahmy in Ägypten im Gefängnis. Gegen die anderen wird in Abwesenheit verhandelt.
"Medien bewerten Fakten nicht so, wie wir sie sehen"
Die Staatsanwaltschaft wirft den Journalisten vor, Videobilder manipuliert zu haben, um "im Ausland den Eindruck zu erwecken, dass in Ägypten ein Bürgerkrieg herrsche". Damit hätten sie einer "terroristischen Organisation" - gemeint ist die Muslimbruderschaft des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi - helfen wollen, die Meinung der Weltöffentlichkeit zu beeinflussen. Den Ägyptern unter den Beschuldigten wirft die Anklage außerdem Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor. Die vier Ausländer - darunter zwei Briten, ein Australier und ein Niederländer - werden beschuldigt, die Aktivitäten ihrer Kollegen mit Geld, Ausrüstung und Informationen unterstützt zu haben. Den Ägyptern dürften bis zu 15 Jahre Haft drohen, den Ausländern bis zu sieben Jahre.
"Verräter" und "Unterstützer des Terrors" hört man derzeit am Nil mehrmals täglich. Die ägyptischen Medien sind voll von Geschichten über angeblichen "Landesverrat" und "Anstiftung zu terroristischen Aktivitäten" und schüren den Zorn der Menschen. Doch es sind mittlerweile nicht nur die Muslimbrüder, die dafür beschuldigt werden. Inzwischen sind auch vermehrt Aktivisten, Liberale und Demokraten ins Visier der regierenden Militärs geraten und vor allem kritische Journalisten. Die Aussage eines Kabinettsmitglieds der Übergangsregierung macht die Dimension deutlich: "Die internationalen Medien bewerten die Fakten in Ägypten nicht so, wie wir es hier sehen", so Monir Fakhri Abdel Nour gegenüber ausländischen Korrespondenten kürzlich in Kairo. Wie zu alten Zeiten von Hosni Mubarak und Gamal Abdel Nasser sind die ägyptischen Medien heute wieder gleichgeschaltet. Fernsehsender oder Printmedien, die abweichende Meinungen verbreiten, werden geschlossen, ausländische Reporter an der Arbeit gehindert. Kritische ägyptische Journalisten arbeiten inzwischen entweder für ausländische Medien oder bloggen unter Pseudonym für internationale Webseiten. Selbst der ägyptische Journalistenverband, der nicht im Ruf steht, die verbotene Muslimbruderschaft zu unterstützen, und eher aus Mitgliedern des alten Mubarak-Regimes besteht, fühlte sich kürzlich gezwungen eine harte Mitteilung gegen das Innenministerium zu verfassen, nachdem dutzende Reporter und Fotojournalisten von Sicherheitskräften angegriffen wurden, als sie über Anti-Regierungsproteste berichteten. Allein am Revolutionstag, dem 25. Jänner, sollen 19 ägyptische Medienvertreter vor dem Haus des Verbandes inhaftiert worden sein, als sie die Aktion der "Revolutionären Front", einem Zusammenschluss von Liberalen, Linken und Demokraten journalistisch begleiten wollten. Dabei sollen auch Schüsse aus Polizeiwaffen gefallen sein. Indes bejubelten nur 200 Meter entfernt am Tahrir-Platz Hunderttausende den neuen starken Mann, den inzwischen vom General zum Feldmarschall beförderten Abdul Fattah al-Sisi. Er stürzte Anfang Juli letzten Jahres nach tagelangen Massenprotesten den islamistischen Präsidenten und bereitet nun seine Kandidatur für die im April anstehenden Präsidentschaftswahlen vor.
Allerdings nahm es Mursi in seiner einjährigen Amtszeit auch nicht so genau mit der Pressefreiheit. Jedoch waren die Repressionen damals nie so schlimm wie jetzt, weil die Muslimbrüder zu keiner Zeit die alleinige Befehlsgewalt über die Sicherheitskräfte hatten.
Doch kam es Anfang Dezember 2012 in der "Blutnacht" vor dem Präsidentenpalast zwischen Mursi-Gegnern und Befürwortern auch zu gewalttätigen Übergriffen auf Journalisten. Von einer Miliz der Bruderschaft war danach die Rede, von Schlägern, die unter anderem in sogenannten Sportclubs trainierten. Journalisten wurden zum Teil schwer verletzt, einer starb. Ansonsten waren Beschimpfungen der Medienvertreter an der Tagesordnung. Vor der Kairoer Media Production City, in der mehrere private Fernsehsender ihre Studios haben, hielten die Islamisten wochenlang einen Sitzstreik gegen die aus ihrer Sicht zu negative Berichterstattung. Präsident Mursi ließ Chefredakteure der aus dem Mubarak-Regime stammenden Zeitungen austauschen und verordnete dem Staatsfernsehen eine islamische Note. Plötzlich trugen alle Moderatorinnen den Hijab, den alle Haare verdeckenden Schleier. Wer sich weigerte, musste gehen. Auch ausländische Medien standen unter verbalem Beschuss der islamistischen Führung. Das Büro der Deutschen Presseagentur bekam einen Anruf vom Präsidentenbüro, mit dem man sich über die negative Berichterstattung beschwerte. Beliebt war indes der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera. Mit seinem lokalen Programm "Mubasher Misr" transportierte er gerne die Botschaften der Muslimbrüder in alle Welt. Der Emir von Katar unterstütze die Regierung Mursi mit Milliardenkrediten und verhinderte so die Bankrotterklärung der Wirtschaft.
Was richtig oder falsch ist, bestimmt das Regime
Dafür müssen die Angeklagten anscheinend büßen. Auch den Journalisten des weltweit geschätzten englischen Kanals von Al-Jazeera wird vorgeworfen, "falsche Informationen" verbreitet zu haben. Was richtig und falsch ist, bestimmt das Regime. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) sieht darin das Fortschreiten einer systematischen Verfolgung von kritischen Journalisten und Medien, die seit dem Sturz Mursis zu beobachten sei. Nach dem Verbot von Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen der Islamisten sei Al-Jazeera praktisch der einzige arabische Fernsehsender von Bedeutung in Ägypten gewesen, der noch den Kurs der Armee und der von ihr eingesetzten Übergangsregierung infrage stellte, so ROG. Der ägyptische Journalistenverband warnt das Innenministerium davor, "Journalisten wie Freiwild" zu behandeln.