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Hexenjagd auf Ex-KP-Agenten

Von Piotr Dobrowolski

Europaarchiv

Noch ist nicht endgültig entschieden, ob die polnischen Parlamentswahlen im Frühjahr oder im Herbst stattfinden. Der Wahlkampf hat aber bereits begonnen: Mit einer Jagd auf ehemalige Agenten des Staatssicherheitsdienstes SB will die in Umfragen führende Rechte punkten. Die regierende postkommunistische Linke schäumt und spricht von der Gefahr eines "kalten Bürgerkriegs".


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Solange wie möglich, also bis in den Herbst will das regierende Bündnis der demokratischen Linken SLD die Neuwahlen hinauszögern. "Das ist der von der Verfassung vorgesehene Termin", sagt SLD-Parteichef Jozef Oleksy. "Und außerdem werden wir der Rechten bei der Machtübernahme nicht auch noch helfen und die Durchsetzung ihrer verrückten Ideen durch eine Wahlvorverlegung beschleunigen." Wie seine Parteikollegen wirft Oleksy den Rechtsparteien "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sowie "Bürgerplattform" (PO) vor, sie würden nach ihrem sehr wahrscheinlichen Sieg einen antidemokratischen, autoritären Kurs einschlagen. Von einem drohenden "kalten Bürgerkrieg" spricht der stellvertretende Chefredakteur des linken Wochenmagazins "Przeglad", Robert Walenciak.

Radikale Vorgangsweise

Tatsächlich hat vor allem die "Recht-und-Gerechtigkeit"-Partei der Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski in den letzten Monaten mit kuriosen Ideen zur "Entkommunisierung" Polens für Aufsehen gesorgt. Fünfzehn Jahre nach der Systemwende wollen die Brüder das ganze Land noch einmal nach möglichen Mitarbeitern des polnischen Staatssicherheitsdienstes SB durchkämmen, das SLD-Bündnis möchten sie zum Schutz des polnischen Staatsinteresses "delegalisieren", sprich: verbieten. Auch wenn Letzteres kaum realistisch scheint, die politische Rhetorik im Land hat es ungemein verschärft. Sogar die bislang als gemäßigt rechts geltende "Bürgerplattform" beteiligt sich inzwischen offensiv an der Hexenjagd auf ehemalige SB-Agenten.

Mit dem Umschwenken der Bürgerplattform auf die rechtspopulistische Linie bietet sich ein eigenwilliges Bild: die drei laut Umfragen stärksten polnischen Parteien, die Bürgerplattform, die Recht-und-Gerechtigkeit-Partei sowie die Liga der polnischen Familien, die insgesamt auf rund fünfzig Prozent der Stimmen hoffen können, werden den bevorstehenden Wahlkampf vor allem mit einer rabiaten Form der Vergangenheitsbewältigung bestreiten. Einmal mehr soll Polen getrennt werden in jene, die der kommunistischen Versuchung widerstanden, und in gewissenslose Kollaborateure des "ancien regime".

Rache eines Journalisten

Einen Vorgeschmack darauf, was das bedeutet, hat das Land vergangene Woche bekommen. Da machte der radikal antikommunistische Journalist Bronislaw Wildstein eine Liste von 240.000 potentiellen SB-Mitarbeitern im Internet zugänglich. Die Liste stammt aus dem polnischen Gegenstück zur Gauck-Behörde, dem Institut für Nationale Erinnerung IPN. Wildsteins Motive sind zumindest auf der persönlichen Ebene nachvollziehbar: einer seiner zwei besten Freunde, der Oppositionelle Stanislaw Pyjas wurde von der Staatssicherheit ermordet, der zweite, ebenfalls ein langgedienter Oppositioneller und anerkannter Publizist, wurde in den neunziger Jahren als ein Agent enttarnt, der seine Freunde jahrelang denunzierte.

Doch egal, wie man die Veröffentlichung von Agentennamen im Internet auch beurteilt, als notwendige Katharsis oder überflüssiges Aufreißen gerade erst verheilter Wunden, die Wildstein-Liste hat einen prinzipiellen Haken: in dem Verzeichnis sind nicht nur tatsächliche Spitzel angeführt, sondern auch Menschen, die, ohne es zu wissen, als informelle Mitarbeiter geführt wurden oder die die Staatssicherheit gern als Agenten angeworben hätte, es aber nie schaffte.

Absage durch Walesa

Inzwischen beschäftigt die Wildstein-Liste die Staatsanwaltschaft, die konservative Tageszeitung "Rzeczpospolita", bei der Wildstein Redakteur war, hat ihn wegen des Vorfalls gekündigt. "Wir hatten dieses Material schon länger, haben aber beschlossen, es nicht zu veröffentlichen. Wildstein hat sich an diese Abmachung nicht gehalten", kommentiert Rzeczpospolita-Chef Grzegorz Gauden. Eine Absage an eine wahllose, von politischem Tagesgeschäft diktierte Veröffentlichung der polnischen Stasi-Akten hat auch ein Mann erteilt, der wohl kaum verdächtigt werden kann, kommunistische Untaten verschleiern zu wollen. "Es wundert mich schon", meldete sich Lech Walesa zu Wort, "dass gerade diejenigen heute unsere Gesellschaft entkommunisieren wollen, die damals, als es gefährlich war, ganz still gewesen sind."

Geschichts-Verfälschung

Auch andere ehemalige Dissidenten fürchten, dass die neu entfachte Agentenjagd das Geschichtsbild nicht verdeutlichen, sondern verfälschen wird: "Mit jedem veröffentlichten Namen von angeblichen Agenten innerhalb der Opposition werden es die Opportunisten von damals leichter haben. Sie können dann sagen: Ich habe zwar geschwiegen, aber die Opposition, das waren in Wirklichkeit alles Stasi-Agenten", sagt der legendäre Solidarnosc-Führer Wladyslaw Frasyniuk, heute Chef der liberalen Freiheitsunion.

Ganz Unrecht hat er nicht, so war etwa der glühende Anhänger einer radikalen "Entkommunisierung" Maciej Giertych von der Liga der polnischen Familien während des Kriegsrechts eifriger Anhänger von General Jaruzelski und arbeitete in dessen "Konsultationsrat" mit, der einen Dialog zwischen Staatsmacht und Opposition simulieren sollte. Ein anderer heutiger fanatischer Agentenjäger, Ryszard Bender, war Abgeordneter in Jaruzelskis Marionettenparlament.