Schäuble lehnt erneuten Schuldenschnitt mit Nachdruck ab.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Athen. Um 21.17 Uhr mussten die versammelten Demonstranten plötzlich Platz machen: Ein Krankenwagen raste mit wildem Sirenengeheul und Blaulicht zur Einfahrt des Athener Parlaments. Der Insasse: der Abgeordnete Nikos Sifounakis. Der sich derzeit für einen operativen Eingriff in einem Athener Krankenhaus aufhaltende Regierungspolitiker hatte lapidar die Anweisung gegeben, zehn Minuten vor der anberaumten Abstimmung über den von der Athener Regierung vorgelegten Multi-Gesetzentwurf von der Klinik ins Parlament gebracht zu werden - um mit Ja zu stimmen.
Die spektakuläre Mobilisierung von Sifounakis am Mittwochabend zeigt: Es war doch eine Zitterpartie, das 108 Artikel umfassende, höchst umstrittene Gesetzespaket zu verabschieden. Damit wird der Weg dafür geebnet, hellenischen Staatsbediensteten im großen Stil den Laufpass zu geben. So werden nun in zwei Phasen bis Ende September insgesamt 12.500 Staatsdiener in eine sogenannte Mobilitätsreserve gesteckt. Ihnen sollen weitere 12.500 Beamte folgen. Betroffen sind zunächst Schulwarte, Lehrer an technischen Schulen der Sekundarstufe sowie Ministerialangestellte. Anschließend trifft es unter anderem Gemeindepolizisten. Dennoch: In letzter Minute gab es noch Ausnahmeregelungen für Staatsbedienstete mit kinderreichen Familien.
Kritiker monieren, dass die Beamten-Entlassungen gar nicht nötig seien, um den Staatsapparat, wie zwischen der Troika und Athen vereinbart, von ehemals 768.009 im Sommer 2010 um 150.000 Personen bis Ende 2015 zu verkleinern. Der Grund: die natürliche Fluktuation. Denn den Pensionierungen stehen seit geraumer Zeit kaum Neueinstellungen im Staatssektor gegenüber. Derzeit sind noch knapp 700.000 Griechen im Staatssektor tätig - zu im Vergleich zu 2009 um bis zu 50 Prozent reduzierten Bezügen. Feststeht aber: Der massenweise Beamten-Rauswurf war Voraussetzung dafür, dass das seit Anfang 2010 am Tropf der Troika hängende Griechenland die nächste Kredittranche in Raten im Volumen von 6,8 Milliarden Euro bis Oktober erhält.
"Verheerender Sparkurs"
Trotz der im Epizentrum der Eurokrise herrschenden brütenden Hitze: Wer glaubt, die Athener Polit-Elite könne sich nach der wegweisenden Abstimmung in den Sommerurlaub verabschieden, der irrt gewaltig. Am gestrigen Donnerstag empfingen Premier Samaras, Finanzminister Stournaras, Vizepremier und Pasok-Chef Evangelos Venizelos sowie Wirtschaftsminister Kostis Hatzidakis den deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Die wegen der nur wenige Stunden währenden Schäuble-Visite getroffenen Sicherheitsvorkehrungen in der griechischen Hauptstadt übertrafen sogar diejenigen beim Athen-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel im vorigen Oktober. Metrostationen blieben geschlossen, für die Athener Innenstadt war ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot angeordnet worden.
Dies hielt die Athener Presse indes nicht davon ab, harsche Kritik an Schäuble zu üben. Dem Deutschen wird vorgeworfen, Griechenland den verheerenden Sparkurs aufzubürden. "Herr Schäuble, hier ist ihr Werk: Wirtschaftsleistung minus 20,5 Prozent, Einzelhandel minus 18 Prozent, Bauwesen minus 67 Prozent", titelte das linksliberale Blatt "Eleftherotypia". Immerhin: Der Gast aus Berlin hatte ein kleines Geschenk dabei. Er unterzeichnete in Athen ein bilaterales "Memorandum of Understanding" zur Errichtung einer Investitionskasse für kleine und mittelständische Unternehmen aus Griechenland. Der Fonds soll mit 500 Millionen Euro gefüllt werden. Deutschland will 100 Millionen Euro beisteuern. Die Experten sind sich einig: Im krisengebeutelten Hellas ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.
Zwar lobte Schäuble Griechenland für "die großen Schritte bei der Konsolidierung seiner Wirtschaft". Zugleich erteilte er aber auch bei seinem ersten Besuch in Athen seit Ausbruch der Griechenland-Krise einem erneuten Schuldenschnitt für Griechenland, der diesmal die öffentlichen Kreditgeber treffen würde, eine klare Absage - sehr zum Verdruss seiner Gastgeber. Das heikle Thema Schuldenschnitt für das chronisch klamme Griechenland könnte jedoch schon am Sonntag hierzulande wieder ein Gesprächspunkt werden. Dann kommt der US-amerikanische Finanzminister Jack Lew nach Athen.