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"Hier ist Polen!"

Von WZ-Korrespondent Ulrich Krökel

Politik

Die PiS hatdas Verfassungsgericht entmachtet. Es wird nicht der letzte Akt der Staatsumgestaltung sein.


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Warschau. (n-ost) Wenn der Winter naht, holt Jaroslaw Kaczynski stets seine Mütze aus dem Schrank und wappnet sich gegen die Warschauer Kälte. Mit der schwarzen Kopfbedeckung, die modisch zwischen Schieber- und Baskenmütze angesiedelt ist, wirkt der 1,62 Meter messende Ex-Premier wie der personifizierte kleine Mann. Kurz vor Weihnachten zeigte Kaczynski jedoch einmal mehr, dass man ihn niemals unterschätzen darf. Der mittlerweile 66 Jahre alte Populist stieg vor dem Verfassungsgericht in Warschau auf die Barrikaden und hielt eine Brandrede, obwohl der Wahlkampf längst vorbei und alle Wahlen gewonnen waren. Doch Kaczynski, so hat es den Anschein, ist ständig im Kampfmodus. "Hier ist Polen!", rief er seinen Anhängern zu, fast wie einst der absolutistische Sonnenkönig Ludwig XIV., der verkündete: "Der Staat bin ich." Einen ähnlich autoritären Machtanspruch verkörpert Kaczynski. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn.

Angst vor zweitem Ungarn

Der Wille der Nation manifestiere sich im Parlament, dem Sejm, wo Kaczynskis nationalistisch-protektionistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seit Ende Oktober die absolute Mehrheit besitzt. Seine Widersacher, zu denen auch die Mehrheit der amtierenden Verfassungsrichter zählt, verurteilte er in seiner Brandrede im Namen des Volkes: "Ganz Polen lacht über euch, ihr Kommunisten und Diebe." Nach heftigen Debatten stimmte das Parlament, in dem PiS die absolute Mehrheit hält, für die umstrittene Neuordnung des Gerichts. Sie nimmt dem Verfassungsgericht nach eigener Einschätzung und der führender Juristen die Unabhängigkeit. Die Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft hat die EU-Kommission daher am Mittwoch aufgefordert, die polnische Regierung nach Brüssel vorzuladen. "Es geht um die Grundrechte nicht nur Polens, sondern der EU, die hier verletzt werden", sagte Außenminister Jean Asselborn. Europa habe bereits den Fehler gemacht, die Einschränkung der Gewaltenteilung im EU-Land Ungarn hinzunehmen. "Aber wenn wir das bei einem großen EU-Land wie Polen zulassen, dann können wir uns von der EU als Wertegemeinschaft verabschieden", warnte Asselborn.

Während sich die kritischen Stimmen in der EU mehren, ist Kaczynski am Ende eines für Polen historischen Doppelwahljahres obenauf. Noch Anfang 2015 hätte damit vermutlich kein politischer Beobachter in Warschau gerechnet. Der PiS-Chef, der von 2006 bis 2007 als Premier amtiert hatte, galt zu Jahresbeginn als Auslaufmodell, notorischer Verlierer, Lachnummer oder Schlimmeres. Die Regierung der wirtschaftsliberal-konservativen Bürgerplattform PO ging unangefochten in ihr achtes Amtsjahr. Die Fortsetzung würde folgen.

An der Regierungsspitze hatte 2014 Ewa Kopacz die Geschäfte von Donald Tusk übernommen, der als EU-Ratspräsident nach Brüssel gewechselt war, ein sichtbares Zeichen für den wachsenden Einfluss Polens in Europa. Das größte EU-Mitglied im Osten galt als aufstrebendes Wirtschaftswunderland, das auf das Erreichte stolz sein konnte - und durchaus stolz auf sich war. Kaum jemand verkörperte das Bild vom erfolgreichen, latent selbstzufriedenen Polen so sehr wie Staatspräsident Bronislaw Komorowski, der schwergewichtige, katholisch-konservative und zugleich freiheitsliebende Solidarnosc-Aktivist von einst.

Alles, was Komorowski in seinem Leben für sich und sein Land erreichen wollte, hatten er und sein Land Anfang 2015 erreicht: Demokratie, Wohlstand und die Verankerung in EU und Nato. Allerdings verkörperte Komorowski, der die PO zusammen mit Tusk aufgebaut hatte, nur einen Teil Polens, jenen Teil, den die Bürger "Polen A" nennen. Dazu zählen vor allem die aufblühenden Städte wie Warschau, Posen und Breslau mit ihrer gehobenen, neureichen Mittelschicht.

Unmut gegen "Polen A" genutzt

Auf dem weiten Land zwischen Oder und Bug dagegen, in den Kleinstädten und Dörfern, formierten sich 2015 die Unzufriedenen und Zukurzgekommenen. Insbesondere bei den jungen Polen unter 30 Jahren, die bei ihrem Einstieg ins Berufsleben meist mit sogenannten "Müllverträgen" abgespeist werden, wuchsen der Neid, die Verachtung oder sogar der Hass auf die Eliten und auf das schöne neue EU-Polen mit seinen modernen Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszügen. Der kleine Mann Kaczynski und seine PiS schürten den Unmut.

Im Rückblick fügt sich das, was Anfang 2015 undenkbar schien, durchaus logisch: Die Polen straften Komorowski bei der Präsidentenwahl im Mai gnadenlos ab. Der Amtsinhaber war allzu siegesgewiss gegen den unscheinbaren PiS-Kandidaten Andrzej Duda in den Ring gestiegen, ohne überhaupt kämpfen zu wollen. Ein TV-Duell verweigerte Komorowski zunächst und offenbarte auf diese Weise eine Arroganz der Macht, die ihm und der PO-Elite zum Verhängnis werden sollte.

"Man muss den Mieter des Präsidentenpalasts auswechseln, um der Sauberkeit unserer Republik willen", sagte Kaczynski vor der Wahl und rückte Komorowski damit verbal in jenes Licht, in dem die meisten Polen ihren Präsidenten insgeheim bereits sahen. Im Rückblick kann es keinen Zweifel geben, dass sich eine Mehrheit der Polen im Frühjahr 2015 nach einem Putzkommando sehnte. Und die Bürger bekamen, was sie wählten: Kaczynskis PiS, die Ende Oktober auch die Parlamentswahl gewann und seither mit absoluter Mehrheit durchregieren kann.

Der Rest dieses polnischen Wendejahres ist schnell erzählt, denn im Grunde begann mit dem Amtsantritt der PiS-Regierung Mitte November bereits das Jahr 2016. Die PiS lancierte eine politische "Säuberungswelle" in den Staatsmedien und attackierte das Verfassungsgericht. Schließlich stieg Kaczynski kurz vor Weihnachten auf die Barrikaden und kündigte für das kommende Jahr eine "nationale Revolution" im Land an: "Wir müssen Polen neu gestalten, und es wird eine große Umgestaltung sein." Die Fortsetzung des Kurses folgt also.