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"High" School

Von Petra Tempfer

Politik
Fotolia/luismolinero

Jeder vierte Schüler über 13 Jahren wünscht sich ein Mittel zur Leistungssteigerung.


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Wien. Konzentrierter, schneller, besser. Nur noch Höchstleistungen zählen. Wer schlecht ist, verliert. Die Rede ist nicht von Hochleistungssportlern, sondern von Schulkindern. Was sie verbindet: Sie greifen zu Mitteln zur Leistungssteigerung - um zu gewinnen. Egal ob auf der Laufbahn oder an der Schulbank. Die Sucht nach Anerkennung und die Angst vor dem tiefen Fall sind die Triebfedern des Dopings.

"Medikamentenmissbrauch unter Schülern nimmt zu", sagt dazu Kurt Moosburger, Arzt für Innere Medizin, Sport- und Ernährungsmediziner in Tirol. Das Gefährliche daran: Die meisten Mittel würden übers Internet gekauft, und "keiner weiß, was da alles drin ist". Statistiken über den tatsächlichen Konsum gibt es keine, weil weder Schüler noch Eltern den Missbrauch gern zugeben. Eine am Donnerstag präsentierte Studie hat aber ergeben, dass sich jeder vierte Schüler über 13 Jahren ein Mittel zur Leistungssteigerung wünscht. Ergebnis der Untersuchung im Auftrag des Nachhilfe-Instituts "LernQuadrat" war allerdings auch, dass all diese Substanzen mehr schaden, als sie nutzen.

Lernen statt schlafendurch Amphetamine

Auf eine kurzfristige Steigerung der Konzentration folgt Unkonzentriertheit, die Gedächtnisleistung und die Fähigkeit zum logischen Denken nehmen ab. Besonders anfällig für Suchtmittelkonsum ist der Studie zufolge die Altersgruppe 15 bis 16 Jahre, also Jugendliche am Höhepunkt der Pubertät. Auffällig ist, dass sowohl schlechte als auch sehr gute Schüler zur Risikogruppe zählen. So verschieden deren Ausgangslage auch ist, so ähnlich hoch ist offenbar der Druck, der auf ihnen lastet.

Eine echte, verlässliche Leistungssteigerung, die zudem erschwinglich ist, erzielt man mit synthetisch hergestellten, aufputschenden Psychostimulanzien (Amphetaminen) wie Ritalin, Modafinil oder Strattera. Ein Gramm kostet vier bis zehn Euro (Kokain mehr als zehn Mal so viel). "Diese Substanzen sind unter den Jugendlichen ein echtes Problem", sagt Suchtexperte Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg. Auch die Partydroge Ecstasy gehört zu den Amphetaminen. Wer sie nimmt, wird leistungsfähiger, aufnahmefähiger und braucht weniger Schlaf. Sämtliche Mittel dieser Art fallen unter gefährliches Doping.

Warum gefährlich? "Von Amphetaminen wird man schnell abhängig", sagt Musalek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Wobei mit "schnell" Wochen bis Monate gemeint seien und nicht Jahre wie zum Beispiel beim Alkohol. Langfristige körperliche Veränderungen seien ein hoher Blutdruck, eine gesteigerte Herzfrequenz, Unruhezustände, Schlaflosigkeit und vermehrtes Schwitzen. Das Fatale daran: "Der Entzug geht mit lang anhaltenden Depressionen einher", so der Suchtexperte.

Schwarzmarkt imInternet floriert

Das Internet biete einen schier unendlichen Raum für den florierenden Schwarzmarkt, mitunter seien es aber auch die Eltern, die Medikamente an ihre Kinder weitergeben - oder speziell für sie besorgen. Denn das Amphetamin Ritalin etwa wird gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS verschrieben, die häufigste psychiatrische Erkrankung des Kindes- und Jugendalters. Ist das Medikament erst einmal im Haus, sei es ein Leichtes, dieses missbräuchlich zu verwenden, so Musalek.

Volksdroge bleibt - auch bei den Heranwachsenden - der Alkohol, den 63 Prozent der 13- bis 19-Jährigen konsumieren. Zur Zigarette greifen 53 Prozent, 21 Prozent haben bereits Cannabis probiert. Die Wirkung von Letzterem sei allerdings ungewiss, sagt Musalek: "Bei manchen wirkt Cannabis euphorisierend, bei anderen beruhigend." Alkohol werde auch eher getrunken, um Ängste zu lösen - etwa vor Prüfungen. Und das euphorisierende Kokain ist für Schüler schlichtweg zu teuer.

Doch nicht nur Lernleistung zählt. Auch wer einen schönen Körper hat, genießt Ansehen und Respekt unter den Mitschülern. Und schön ist heute schlank bei den Frauen und muskulös, wenn man ein Mann ist. Amphetamine wirken appetitzügelnd: eine willkommene Nebenwirkung für Mädchen, die diese dann aus diesem Grund konsumieren. Männliche Jugendliche schlucken wiederum anabole Steroide, um Muskeln wie Wolverine zu bekommen - zumindest ansatzweise.

Ausrasten für mehr Muskelmasse

"Es gibt eine unendlich hohe Dunkelziffer", sagt Mediziner Moosburger, der sich auf diese Art von Medikamentenmissbrauch spezialisiert hat. Einer seiner Patienten habe sogar seine Möbel, seinen Kühlschrank und seine Stereoanlage verkauft, "um mehr Muskeln zu haben". Doch was ist der wahre Preis dafür? "Wird die Einnahme im Unterschied zu einem Profisportler nicht überwacht, können sich die Blutfettwerte verschlechtern, man bekommt Akne im Gesicht und an den Schultern und: Es führt zu einer unglaublichen Aggressionstendenz." Das führe mitunter so weit, dass ein Jugendlicher seine Freundin verprügelt oder die Mutter schlägt - "also ausrastet".

Keine Suchtmittel, aber ebenfalls unter Schülern zunehmend beliebt sind Energy Drinks und Kaffee. Der "LernQuadrat"-Studie zufolge trinken Jugendliche in keinem Land so viele Energy Drinks wie in Österreich. Rund 30 Prozent glauben demnach, dass deren Konsum beim Lernen hilft. Gefährlich wird es, wenn man diese - wie unter Jugendlichen üblich - mit Alkohol mischt. "Dann fällt die selbstlimitierende Wirkung des Alkohols weg", sagt Musalek, "man wird also nicht müde und schläft auch nicht ein." Der Effekt: Man trinkt weiter, und der Rausch ist noch größer.