Zweifel an nachhaltigen positiven Effekten der Weltausstellung.
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Yeosu. Wenn sich Yu Shin-hye auf dem Weg zur Arbeit macht, passiert sie breit ausgebaute Straßenzüge, gesäumt von riesigen Apartmentblocks, hinter dessen Fassaden man das Meer nur mehr erahnen kann. Die Gebäude glänzen wie geleckt und der Asphalt der Straße riecht noch, als wären die Bauarbeiten erst seit wenigen Tagen abgeschlossen. Yu fühlt sich beim Anblick des Betondschungels fast wie in einer fremden Stadt, dabei ist sie genau hier aufgewachsen. Ihr Geburtsort heißt Yeosu, ein einst verschlafener Küstenort am äußersten Süden der koreanischen Halbinsel, dessen Bewohner durch Fischfang zu bescheidenem Wohlstand gelangt sind. Berühmt ist Yeosu für die knapp 400 kleinen Inseln, die vor der Küste im Ostchinesischen Meer gelagert sind.
Das heutige Yeosu hat jedoch nicht mehr viel gemein mit dem Ort, in dem die Germanistikstudentin aufgewachsen ist. Denn Yeosu war jüngst Gastgeber der diesjährigen Expo - der ersten Weltausstellung, die sich unter dem Motto "Der lebende Ozean und die Küste" vollständig dem Umweltschutz verschrieben hat. Für Südkorea war die Expo jedoch vor allem eins: ein riesiges Prestigeprojekt zur Anerkennung auf der politischen Weltbühne.
Das ließ sich die koreanische Regierung einiges kosten: Rund 11 Milliarden Dollar investierte sie in die Infrastruktur der Region. So fahren mittlerweile Hochgeschwindigkeitszüge in weniger als dreieinhalb Stunden zur 450 Kilometer entfernten Hauptstadt Seoul. Das Expo-Gelände allein kostete über 1,9 Milliarden Dollar. "Früher war hier noch ein Rotlichtviertel", erinnert sich Yu, die während ihrer Semesterferien als Hostess im deutschen Pavillon arbeitete. Die Regierung riss das komplette Viertel ab und errichtete auf 1,74 Quadratkilometern die Pavillons von 104 teilnehmenden Ländern und zehn internationalen Organisationen.
Highlight des Expo-Geländes ist zweifellos der "Himmelsturm": Aus alten Silos errichtete die Regierung einen 67 Meter hohen Turm, an dessen Außenseite sich die größte Pfeifenorgel der Welt befindet. Ihre Harfenform ist dabei den Wellen des Meeres nachempfunden.
Besucheransturm blieb aus
Von Tsunami-Frühwarnsystemen bis hin zu Unterwasserrobotern, die künftig zum Bergbau am Meeresgrund eingesetzt werden, konnten die Besucher jede Menge Hightech bewundern. Die Betreiber bezeichneten die Veranstaltung im Vorfeld als größtes Robotertreffen der Welt.
Doch das Fazit der Weltausstellung fällt eher ernüchternd aus: Von den erwarteten zehn Millionen Besuchern kamen zwar rund acht - jedoch nur mit zusätzlichem Nachdruck der Regierung: Die Eintrittspreise wurden im Verlauf der Expo erheblich reduziert und entgegen voriger Ankündigungen sind etliche Tickets verschenkt worden, um das Gelände zu füllen. "In den ersten vier Wochen war es hier völlig leer. Es gab fast mehr Mitarbeiter als Besucher", meint die 28-jährige Koreanerin.
Wenn Yu Shin-hye an ihrem Arbeitsplatz vor dem deutschen Pavillon steht, braucht sie nur den Kopf zu heben, um in eine digitale Meereswelt einzutauchen, die auf die Decke des internationalen Pavillons projiziert wird. Dort bahnt sich ein riesiger Wal den Weg über die Köpfe der Besucher hinweg: Die Harmonie zwischen Mensch und Meer wird propagiert. Hier in Yeosu wirkt die Botschaft deplatziert, schließlich kündigte die Regierung erst vor wenigen Wochen an, wieder Wale jagen zu wollen - angeblich aus wissenschaftlichen Gründen. Ebenfalls wurde jüngst in Südkorea das zweitgrößte Wattenmeer der Welt trockengelegt. Kritiker unterstellen der Regierung Augenwischerei: Für sie ist es schlicht paradox, dass mittels eines immensen bautechnischen Großprojekts für Nachhaltigkeit und Umweltschutz geworben wird.
Auch Yu beobachtet täglich im Kleinen, dass das Umweltbewusstsein in Südkorea noch in den Kinderschuhen steckt - wenn etwa die Reinigungskräfte der Expo konsequent die Mülltrennung ignorieren oder das Gros der Besucher ihre Abfälle schlicht auf dem Boden liegen lassen. Doch man müsse auch die historische Entwicklung ihres Heimatlandes berücksichtigen, meint Yu. Während ihre Eltern noch in einem auf Entwicklungshilfe angewiesenen Agrarstaat geboren worden sind, rangiert das Land am Han-Fluss heute auf Platz 14 der größten Volkswirtschaften der Welt. Bei dieser rasanten Entwicklung wurde freilich wenig Rücksicht auf die Umwelt genommen. Dass nun Nachhaltigkeit und Umweltschutz zumindest thematisiert werden, sei bereits ein großer Fortschritt.
Konzepte fehlen
Auch wenn die immensen Investitionen Yeosu als Wirtschaftsstandpunkt stärken und laut Angaben der Expo Betreiber rund 80.000 Arbeitsplätze in der Region geschaffen haben, zweifelt Yu - wie viele Bewohner Yeosus -, ob die Expo auf lange Sicht wirklich gut für die Region war. Die Mieten, Taxi- und Lebensmittelpreise seien seither um ein gutes Viertel gestiegen, beklagt die Studentin. "Außerdem weiß ich nicht, wie es hier in fünf Jahren aussehen wird", so Yu. Schlüssige Konzepte, wie die riesigen Gebäudekomplexe und Bahnstrecken nach der Expo genutzt werden, stehen bislang noch aus.
Vielleicht wird die Zukunftsvision der Expo-Betreiber für Yeosu nicht eintreten. Dann könnte der Küstenort schon bald wieder zu dem verschlafenen Nest werden, wie ihn Yu Shin-Hye noch aus ihrer Jugend kennt.