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Vor der Öffnung der Arbeitsmärkte im kommenden Jahr werden in einigen Ländern erneut Ausländer-Phobien geschürt.
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Radu sind die Übergangsfristen egal. Ob die Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt für seine Landsleute im nächsten Jahr fallen oder nicht, macht für ihn keinen Unterschied. Der 40-jährige Rumäne arbeitet nämlich schon seit 2009 in einem anderen EU-Staat, in Belgien. Nein, nicht illegal. Er hat sich und seine Tätigkeit da angemeldet, er zahlt Steuern und alle anderen Abgaben. Deswegen bleibt ihm von den 4000 Euro, die er im Monat verdient, nicht einmal die Hälfte.
Über Mangel an Aufträgen kann Radu aber nicht klagen. Es hat sich anscheinend herumgesprochen, dass er ein verlässlicher Installateur ist; seine Kunden empfehlen ihn weiter. Das Geld reicht aus, um einen Teil davon an Verwandte in Rumänien zu schicken.
Dass Radu selbst es sich im Ausland gut gehen lässt - davon kann nicht die Rede sein. Er mietet eine Kammer im dritten Stock eines engen Brüsseler Zinshauses. Ein Tisch und ein Sessel, ein mit Lebensmitteln gefülltes Regal, ein schmales Bett: Mehr als das hat keinen Platz. Die Toilette ist auf dem Gang, daneben eine rudimentär eingerichtete Küchenzeile. Beides teilt sich der Installateur mit einem polnischen Elektriker, der über ihm im Dachgeschoß wohnt. Für sein Zimmerchen zahlt Radu 350 Euro Miete.
So wie er haben etliche Rumänen bereits einen Job im Ausland, ob sie es legal tun oder schwarz beschäftigt werden. Sie haben nicht darauf gewartet, dass die Übergangsfristen auslaufen. Daher ist den meisten Prognosen zufolge nicht zu erwarten, dass am 1. Jänner des kommenden Jahres zehn- oder gar hunderttausende Rumänen und Bulgaren auf Jobsuche nach Westeuropa strömen werden. Ähnliche Befürchtungen von Österreichern oder Deutschen sind schon vor zwei Jahren nicht eingetreten, als die Hürden auf den Arbeitsmärkten für Polen, Tschechen oder Slowaken fielen. Auch da galt: Die meisten waren schon dort.
Dennoch werden in manchen EU-Staaten jetzt erneut Ängste vor einer Massenimmigration hochgekocht - diesmal mehr in Großbritannien und Deutschland als in Österreich. Allerdings steht dieses Mal nicht so sehr die Sorge um Arbeitsplätze im Vordergrund. Die Schlagwörter lauten nun "Sozialmissbrauch" oder "Wohlfahrts-
Tourismus". London hegt Pläne, wie der Zugang zu staatlicher Unterstützung für Nicht-Briten erschwert werden kann, und Berlin warnt vor den Belastungen fürs Budget, wenn Bürger anderer Staaten Sozialhilfe beantragen können.
Diese Überlegungen wären ja legitim. Doch warum wälzen sie Politiker gerade jetzt? Es ist kaum ein Zufall, dass in Großbritannien derzeit die Fantasien zum EU-Austritt blühen und in Deutschland in ein paar Monaten Wahlen anstehen. In beiden Fällen passt das Schüren gewisser Ausländer-Phobien ins Programm.
Bei diesen Debatten werden Menschen wie Radu nicht beachtet. Es dreht sich um Wohlstandshungrige, kriminelle Banden oder um Roma-Kinder, denen das Betteln antrainiert wird. Ja, das gibt es. Aber tausend Mal mehr gibt es Rumänen, die ihre Steuern und Sozialversicherungen zahlen.