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Es besteht kein Zweifel: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat Österreich Opfer von Verbrechen in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt. In der Schweiz zum Beispiel können
sie mit einer begleitenden Rundumbetreuung rechnen, bei der ihnen vom Rechtsanwalt bis zur psychotherapeutischen Behandlung alles geboten wird. Wie es Verbrechensopfern in Österreich bisher erging,
schildert am besten ein Fall, der für Schlagzeilen in mehreren Tageszeitungen sorgte.
Racheakt im Amtshaus
Es geschah am 14. Februar 1996. In der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt suchte ein Mann um Sozialhilfe an und wurde abgewiesen. Daraufhin rastete der Bittsteller aus und stach wie wild auf
die Sozialarbeiterin Manuela Vorisek ein. Die junge Frau erlitt tiefe Schnittwunden im Gesicht und am Hinterkopf. Sie rang tagelang mit dem Tod. Vielmehr als die Messerstiche aber, so meint sie
heute, hätte sie es als Katastrophe empfunden, nach dem Attentat vom Staat völlig alleingelassen zu sein. Dabei hatte sie Glück im Unglück. Ihr Gesicht blieb nicht verstümmelt, denn ihre
Gesichtswunden konnten durch unzählige, mühsame Behandlungen fast völlig ausgeheilt werden. Freilich, die dafür notwendigen, teuren Salben mußte sie zum Teil aus eigener Tasche bezahlen.
Leidensweg eines Verbrechensopfers
Vorisek litt aber auch unter panischen Angstzuständen. Um ihre Psyche wieder ins Lot zu bekommen, mußte sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Eine teure Angelegenheit, die sie in arge
finanzielle Schwierigkeiten stürzte. Denn die Krankenkasse kam nur für einen geringen Teil auf. Wodurch sie gezwungen war, von Amt zu Amt zu pilgern, um dort um Bezahlung der Kosten zu bitten.
Refundiert wurde ihr das restliche Geld für die psychotherapeutische Behandlung schließlich rund zwei Jahre nach dem Verbrechen. Auf dem Kulanzweg und auch nur durch die tatkräftige Unterstützung des
Bundessozialamtes. Schmerzensgeld oder eine symbolische Wiedergutmachung bekam Vorisek nicht. Ein Schicksal, das sie mit allen anderen Menschen teilt, die in Österreich Opfer von Verbrechen werden.
Vorstoß der ÖVP
Zumindest in einem Punkt soll sich die traurige Lage, in die jedes Jahr rund 250 Opfer schuldlos gedrängt werden, jetzt ändern. Das beschloß der Nationalrat am 26. November. Ab 1. Jänner 1999
haben Verbrechensopfer einen gesetzlichen Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung. Wobei auch aktuelle Therapiekosten beantragt werden können, die im Zusammenhang mit lange zurückliegenden
Straftaten stehen. Ein Gesetz, das der ÖVP-Abg. Maria Fekter zu wenig weit geht. Was wiederum schon am 17. November im Sozialausschuß, der das Gesetz für das Plenum vorbereitet hatte, für Streit
sorgte. Fekter hatte im Justizausschuß eine Erweiterung dieses Gesetzes angeregt, nach dem der Staat den Opfern auch Schmerzensgeld zahlen und sich dann beim Täter schadlos halten sollte. Die SPÖ
konterte, daß der Sozialausschuß für ein solches Gesetz nicht zuständig wäre. Das wiederum wollte Fekter nicht gelten lassen. Vom Justizausschuß her, der zur selben Zeit in einem anderen Lokal tagte,
signalisierte sie, daß das bei etwas gutem Willen sehr wohl möglich wäre. Und sie fügte hinzu, daß die SPÖ sich zwar löblicherweise für die Resozialisierung von Verbrechern einsetze, aber für die
Opfer zu wenig tue. Die Folge davon wäre gewesen, daß weibliche SPÖ-Abgeordnete ihren Vorschlag positiv bewertet hätten, Sozialministerin Lore Hostasch einen Entschließungsantrag zur
Schmerzensgeldregelung abgelehnt hätte.
Empörung bei der SPÖ
Ein Vorwurf, auf den die SPÖ heftig reagierte. Die solchermaßen attackierte Ministerin Hostasch wetterte in Richtung ÖVP, daß gerade die SPÖ das neue Verbrechensopfergesetz vorangetrieben hätte.
Natürlich, so meinte sie, müsse auch die Diskussion über Schmerzensgeld weiterhin geführt werden. Dazu aber müsse man die derzeitige Schadenersatzregelung insgesamt überprüfen und das sei einzig und
allein Sache des Justizausschusses. Nichts desto trotz hatte sich die SPÖ-Abg. Annemarie Reitsamer redlich bemüht, den Entschließungsantrag der Abgeordneten Fekter zu bekommen. Das aber, so
Reitsamer, wäre nicht möglich gewesen.
Begrenzung der Kosten
Grüne und Freiheitliche berichteten freilich, daß es vorwiegend die SPÖ gewesen wäre, die auch einen Antrag der Grünen abgelehnt hätte. Anlaßfall dazu war der Skandal in Goisern. Bekanntlich
wurden dort Kinder sexuell mißbraucht. Sie werden lange Zeit psychotherapeutische Hilfe brauchen, für die das vom Staat zur Verfügung gestellte Geld nach Meinung der Opposition nicht reichen könnte.
Nach dem neuen Gesetz wird die Krankenkasse · wie bisher · einen Zuschuß von rund 300 Schilling pro Sitzung bezahlen. Der Staat schießt weitere 900 Schilling zu. Eventuell höhere Kosten muß aber
weiterhin das Verbrechensopfer finanzieren. Der Antrag der Grünen sah daher vor, daß es in keinem Fall zu irgendeiner Form von Selbstbehalt kommen kann. Darüberhinaus forderten die Grünen eine
bindende Kostenregelung im Psychotherapiebereich.
Einigkeit bei der Opposition
Unterstützt wurden die Grünen von den Freiheitlichen und den Liberalen. Gerade beim Opferschutz, so meinte der FPÖ-Abg. Herbert Haupt, gelte es Versäumnisse aufzuholen. Daher verstehe er die
ablehnende Haltung der SPÖ zum Antrag der Grünen nicht. Denn in bestimmten Fällen könne es durchaus sein, daß das Geld nicht ausreiche. Das, so betonte der Liberale Volker Kier, könne natürlich
vorkommen, weil es noch immer keine vertragliche Regelung mit den Psychotherapeuten gebe. Im Falle einer Kostenüberschreitung mache man daher die Opfer nach wie vor zu Bittstellern.
Streit in der Koalition
Während die Liberalen am guten Willen der Regierungsparteien · vorwiegend aus finanziellen Erwägungen heraus · zweifelten, glaubten die Grünen an gegenseitige Behinderung. Es gehe zwischen SPÖ und
ÖVP oft nichts mehr, so der Grüne Abg. Karl Öllinger. Dabei sei oft gar nicht auszumachen, wo die Differenzen eigentlich liegen. Die SPÖ betonte jedenfalls nach dem Sozialausschuß, daß beim
Opferschutz weitere Schritte in jedem Fall folgen müßten. Die ÖVP warf ihr vor, mehr Hilfe für die Opfer zu blockieren. Resumee der SPÖ-Abg. Reitsamer: Die Zusammenarbeit sei derzeit oft schwierig.
Zum Verbrechensopfergesetz in der derzeitigen Form stehe sie aber · und es sei finanzierbar.Õ
Ine Jezo-Parovsky ist Mitarbeiterin der ORF-Parlamentsredaktion
DEZEMBER 1998