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"Hilfe vor Ort" - neues Mantra auf wackeligen Beinen

Von Michael Obrovsky

Gastkommentare
© Elisabeth Bolius

Österreich zählt nicht zu den Ländern mit überproportionalen Hilfsleistungen in den Herkunftsländern von Flüchtlingen.


Mit dem US- und Nato-Abzug aus Afghanistan, der Machtübernahme der Taliban und den Versuchen vieler Afghanen, das Land zu verlassen, ist auch die Diskussion über die internationale Hilfsbereitschaft Österreichs neu aufgeflammt. Während die Grünen Menschen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, aufnehmen wollen, lehnt die ÖVP dies kategorisch ab und argumentiert einerseits, dass Österreich seit 2015 weit mehr Menschen aus Afghanistan als viele andere europäische Länder aufgenommen hat, und andererseits, dass Österreich seinen Beitrag mit überproportional viel "Hilfe vor Ort" leiste.

In der internationalen Debatte findet der Begriff "Hilfe vor Ort" aufgrund seiner geringen Aussagekraft keine Verwendung. Ist jener Ort gemeint, wo akute Hilfe benötigt wird, ist es sinnvoll, beim Begriff "Humanitäre Hilfe" zu bleiben. Hierzu gibt es statistisch normierte Definitionen der OECD für Aktivitäten im Bereich "Emergency Response". Ausgaben können eindeutig erfasst und international verglichen werden. Wird "Hilfe vor Ort" im Rahmen längerfristiger Programme der Entwicklungszusammenarbeit realisiert, sind die Zahlen der "Country Programmable Aid" (CPA) dienlich.

Wenn zur Verdeutlichung von "Hilfe vor Ort" pauschal auf die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) verwiesen wird, lässt das nur bedingt sinnvolle Aussagen zu. Denn die ODA enthält auch Leistungen, die in Österreich erbracht werden. Dazu zählen Studienplatzkosten, Stipendien, Aufwendungen für Asylwerber, Entschuldungen, Administrationskosten sowie Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit und entwicklungspolitische Bildung. Gerade diese Leistungen sind im Falle Österreichs im Vergleich zu den Projekten und Programmen vor Ort überproportional hoch.

Unter der Verwendung international gängiger Definitionen lässt sich Österreichs Beitrag besser einordnen. Trotz des Anstiegs der Leistungen für humanitäre Hilfe von 34 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 50 Millionen im Jahr 2020 mittels Verdoppelung des Auslandskatastrophenfondsbudgets bleiben die Ausgaben für "Humanitäre Hilfe" im internationalen Vergleich bescheiden. Die Schweiz verbuchte im selben Jahr eine halbe Milliarde Euro, Deutschland etwa 2,6 Milliarden. Bei der CPA lag Österreich mit etwa 82 Millionen Euro 2019 im letzten Drittel der europäischen Geberländer. Auch bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Asylwerber lag Österreich 2020 mit 3,06 Euro weit unter dem EU-Durchschnitt von 11,19 Euro. Das 1970 definierte Ziel einer ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) hat Österreichs mit 0,29 Prozent trotz leichtem Anstieg auch 2020 deutlich verfehlt.

Die Einschätzung, Österreich leiste einen überproportionalen Beitrag "vor Ort", bestätigt weder die OECD-Statistik noch ein Blick auf die UN-Geberkonferenz in Afghanistan am 13. September und die dort getroffenen Zusagen. Sollte die Bundesregierung mehr Engagement "vor Ort" anstreben, dann müsste sowohl das Budget für "Humanitäre Hilfe" als auch jenes für Programme und Projekte in den Partnerländern deutlich erhöht werden.

Eine Langfassung des vorliegenden Textes finden Sie hier.