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"Hilfsmarathon für Europa"

Von Martyna Czarnowska und Vilja Schiretz

Politik
Seit Kriegsbeginn sind bereits 2,7 Millionen Geflüchtete in Polen eingereist. Auch Österreich muss sich auf zahlreiche Schutzsuchende vorbereiten.
© reuters / Leonhard Foeger

Knapp 60.000 Vertriebene in Österreich registriert. Großteil der Ukrainer flieht nach Polen.


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Für viele Menschen aus der Ukraine ist Österreich nur eine Zwischenstation auf dem Weg in eine sichere, längerfristige Bleibe. Der Großteil der mehr als 265.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit Kriegsbeginn in Österreich ankamen, ist in andere EU-Staaten weitergereist, darunter Portugal, Italien und Deutschland, wo es bereits vor dem Krieg größere ukrainische Communitys gegeben hat.

Doch bisher 58.000 Menschen haben mit Österreich ihr Ziel erreicht und wurden als Vertriebene registriert. Dieser Status gewährt ihnen einen sofortigen Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt. Laut dem österreichischen Flüchtlingskoordinator Michael Takacs sei man bei der raschen und unbürokratischen Überprüfung und Anerkennung von beruflichen Qualifikation bereits "sehr, sehr weit". Rund 470 Geflüchtete gehen bereits einer Arbeit in Österreich nach.

Damit nicht fehlende Deutschkenntnisse zur Hürde für den Einstieg in den Arbeitsmarkt werden, schafft der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) in allen Bundesländern zusätzliche Angebote für Deutschkurse. Ab sofort können Ukrainer mit einem praxisorientierten Online-Kurs ihre Deutschkenntnisse verbessern -- gestaltet wird dieser von Deutsch-Trainern und Ukrainisch-Dolmetschern gemeinsam. Schon vor Ausbruch des Krieges wurden auch fachspezifische Programme für die Bereiche Gastronomie, Hotellerie und Lebensmittelhandel angeboten - diese Kurse stehen nun auch Menschen aus der Ukraine offen.

Weitere Flüchtlinge erwartet

An Lernwilligen wird es nicht mangeln, auch wenn die Zahl der registrierten Flüchtlinge zuletzt rückläufig war. Wurden Mitte März noch täglich mehr als 2.000, manchmal mehr als 3.000 Registrierungen durchgeführt, waren es seit Anfang April meist weniger als 1.000. Doch Takacs spricht von einer "Talsohle". Wenn sich die Kampfhandlungen in der Ostukraine weiter verschärfen, ist erneut mit einem größeren Zustrom an Schutzsuchenden zu rechnen.

Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, schätzt, dass sich Österreich auf 200.000 bis 250.000 Geflüchtete aus der Ukraine vorbereiten muss. "Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon - der längste Hilfsmarathon für Europa", sagte er der Austria Presseagentur.

In der Ukraine selbst ist fast jeder fünfte Mensch auf der Flucht, und gut ein Zehntel der Bevölkerung hat das Land bereits verlassen - an die 4,5 Millionen Menschen. Ein großer Teil von ihnen ist zunächst ins benachbarte Polen gelangt. Tausende Ukrainer kommen dort täglich an, am Mittwoch waren es knapp 25.000 Menschen und am Donnerstag, bis 7 Uhr Früh, 6.000 Menschen. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes sind seit Kriegsbeginn mehr als 2,7 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Polen eingereist. In die umgekehrte Richtung sind übrigens mehr als 620.000 Personen gefahren.

Aber auch die anderen Nachbarländer haben zahlreiche Ukrainer aufgenommen: Nach Rumänien sind knapp 700.000 Menschen geflohen, nach Ungarn an die 370.000 Personen. Ungarische Behörden sprechen sogar von fast 600.000 Flüchtlingen, zählen aber die Ankünfte aus Rumänien mit. In die Slowakei kamen an die 330.000 Ukrainer.

Einen Steuermechanismus, wohin die Menschen gehen, soll es auf EU-Ebene nicht geben. Denn Vorschläge etwa zu einer verpflichtenden Aufnahmequote für Flüchtlinge lösen heftigen Streit unter den Mitgliedstaaten aus. Frei bewegen können sich Ukrainer in der Europäischen Union ohnehin seit 2017: Damals ist die Visumpflicht für die Einreise in die EU gefallen.

Arbeitsmarkt geöffnet

In manchen Staaten hatten ukrainische Bürger außerdem schon vor dem Krieg in ihrem Land die Möglichkeit zu arbeiten, etwa in Ungarn und Polen. Bereits im Vorjahr und in den Jahren zuvor wohnten und arbeiteten hunderttausende, vielleicht auch eine Million Ukrainer in Polen: Sie sind in der Gastronomie, Hotellerie und anderen Dienstleistungsbereichen tätig, werken auf dem Bau, pflegen ältere Menschen. Manche sind angestellt, manche werden von ihren Arbeitnehmern nicht angemeldet - auch wenn die polnische Regierung den Arbeitsmarkt mittlerweile fast vollständig geöffnet hat.

Allein im vergangenen Jahr haben knapp 300.000 Ukrainer eine Aufenthaltsgenehmigung in Polen erhalten, die Zahl der Anträge auf eine Arbeitsbewilligung ist aber weit höher. Heuer haben an die 63.000 Geflohene Arbeit gefunden - und das sind nur die offiziellen Behördenangaben.