Mit dem Hilfswerk fordert ein weiterer Pflege-Anbieter "rasche und echte" Reformen des Systems.
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Wien. Nun macht auch das Hilfswerk Österreich auf die Situation im Pflegesystem aufmerksam: Geschäftsführerin Elisabeth Anselm spricht von einem "relativ großen Sprung in der demografischen Entwicklung in den kommenden vier bis fünf Jahren, keiner linearen Entwicklung". Das Pflegesystem sei schon heute am Limit, der Personalmangel schwebe wie ein Damoklesschwert darüber. "Was wir vermissen, ist eine gesamtheitliche politische Sicht, großes Denken, kein Klein-Klein."
Dennoch gibt es einige "kleine" Forderungen der größten Trägerorganisation mobiler Dienste in Österreich: Da wäre jene nach präventiven Diensten, die ältere Menschen noch in ihrem Zuhause beraten und zum Beispiel mit einer besseren Gestaltung des Wohnumfelds die Pflege ins noch höhere Alter hinausschieben. Da ist die nach einer Tagesbetreuung insbesondere für Demenzerkrankte, die Angehörige entlastet. Und da wäre die Forderung nach einem Coaching für pflegende Angehörige, schließlich leisten diese fast die Hälfte der Pflegearbeit.
Erneute Forderungeiner "echten" Pflegereform
Und da wäre die große Forderung: eine "echte Pflegereform", mit gleichem Versorgungslevel zu gleichen Preisen in allen Bundesländern, mit einer Ausbildungsoffensive und Verankerung des Pflegeberufs im Regelschulsystem, mit einer finanziellen Stärkung der mobilen Pflege, denn: "Hier trifft sich das, was volkswirtschaftlich vernünftig ist, mobile Pflegekräfte und jene, die gepflegt werden, wollen möglichst lange zu Hause leben."
Angesichts ihres Programms habe die Regierung laut Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich und ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, die Bedeutung des Themas erkannt: "Nun muss die Erkenntnis in politisches Handeln überführt werden, und zwar rasch. Wer eine echte Pflegereform auf die lange Bank schiebt, gefährdet die pflegerische Versorgung."
Angesichts der geschilderten Dramatik scheint der runde Tisch oder ein Pflege-Gipfel, der Karas als Start vorschwebt, allerdings kaum das der Dringlichkeit angemessene Mittel der Wahl zu sein. Zumal sich die Beteiligten, weitere gemeinnützige Pflegeanbieter, ÖVP-nahe wie Caritas, Rotes Kreuz oder Diakonie genauso wie SPÖ-nahe wie die Volkshilfe, Arbeitsnehmervertretung des Bereichs, aber auch Wissenschafter genauso wie Politiker aller Couleur über Bundes-, Landes- und Gemeindeebene hinweg, bei der Analyse weitgehend einig sind: Mit dem heutigen System wird der Pflegebedarf mittelfristig weder zu finanzieren noch qualitativ so gut wie heute oder noch besser zu decken sein.
Das Hilfswerk rechnet mit Wifo-Daten vom Juni 2017 vor, dass die 455.000 Pflegegeldbeziehenden von heute bis 2050 auf 750.000 steigen werden; ohne Reform dann nicht wie heute 75.000 Plätze in Pflegeheimen, sondern 184.000 notwendig wären.
Sololösungen der Bundesländer statt einheitlicher Standards
Karas und Anselm fordern mehr Unterstützung für jene, die zu Hause gepflegt werden, denn das sind 84 Prozent, 16 Prozent sind in Alten- und Pflegeheimen. Trotzdem konzentrierte sich die politische Debatte zuletzt um die Folgen der Abschaffung des Regresses für Heimkosten - allerdings weniger darum, dass man für diese nun mit 80 Prozent seiner Pension und dem Pflegegeld gerade steht, es für Kosten in der mobilen Pflege aber keinen solchen Deckel gibt. Darin sieht Karas wie schon Michael Chalupka, Direktor der Diakonie, oder auch Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe, eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Pflege zu Hause gegenüber jener im Heim.
Die Debatte drehte sich vielmehr um den Bundesersatz der steigenden Kosten für Bundesländer insbesondere durch weniger Selbstzahler. Schließlich ist die Pflege im Heim teurer: Zur mobilen Pflege müssen Bund und Länder durchschnittlich 4186 Euro pro Person und Jahr zuzahlen, zu jener im Heim aber 34.601 Euro. Ein Teil solcher Unterschiede ist zwar durch den unterschiedlichen Pflegebedarf erklärbar. Die Unterschiede beim Bruttoaufwand für Pflege im Heim sind aber auch von Bundesland zu Bundesland eklatant: In Wien waren es 2015 laut Fiskalrat-Studie 61.161 Euro pro Person und Jahr, in Vorarlberg 39.061, in Salzburg dagegen 25.926 Euro.
Auch beim Regress in der stationären Behinderten-Pflege gibt es unterschiedliche Regeln: Nach Niederösterreich, Salzburg, Tirol und der Steiermark schafft ihn Vorarlberg ab 1. Juli nun als fünftes Bundesland ab. In anderen Bundesländern wird weiterhin auf das Vermögen zugegriffen.
Und selbst im mobilen Bereich ist die gleiche Leistung nicht überall gleich viel wert: Salzburg und Niederösterreich stellen laut Anselm gemeinnützigen mobilen Pflegeanbietern wie dem Hilfswerk weniger Geld zur Verfügung als öffentlichen. In beiden Bundesländern sich auch die Selbstbehalte für Pflegebedürftige und deren Angehörige deutlich höher als etwa in der Steiermark oder im Burgenland.