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Vor genau 400 Jahren, im Sommer 1611, veröffentlicht Johann Fabricius sein Werk "De Maculis in sole observatis". In dieser schmalen Wittenberger Schrift spricht der Student aus Ostfriesland erstmals von "maculae" (lat., Makel, Schandflecken, Flecken) auf der Sonne. Fabricius hat sie entdeckt, als er das Sonnenbild mit einem in Leiden erstandenen Fernrohr auf ein Stück Papier projizierte.
In Ingolstadt registriert der Jesuitenpater Christoph Scheiner im Jahr 1611 ebenfalls die dunklen Flecken. Auch er wirft das Sonnenbild auf eine helle Fläche, um nicht zu erblinden. Dann studiert er die Makel mit seinem Schüler Johann Baptist Cysat. Scheiners Ordensprovinzial ist verstört: Bei Aristoteles, der Autorität in naturphilosophischen Fragen, liest man davon nichts. Die sich verändernden "Schandflecken" passen schlecht zur edlen Sonne. Die Himmelskörper sind laut Aristoteles nämlich aus einer ganz besonderen, idealen und ewiglichen Substanz geformt. Nur unsere Erde bestünde aus den vier klassischen Elementen und sei deshalb stetem Wandel unterworfen. Vermeintlich im Zentrum des Kosmos ruhend, gilt die Erde den meisten Gelehrten noch nicht als Himmelskörper.
Das Jüngste Gericht
In Italien widerlegt der Kopernikaner Galileo Galilei ein Postulat des Aristoteles nach dem anderen. Dabei ist die Kirche mit der Philosophie des alten Griechen im 13. Jahrhundert eine Art "Symbiose" eingegangen. Manche Zeitgenossen verstehen die Kritik an Aristoteles deshalb auch als Angriff auf die kirchliche Autorität. Vor diesem Hintergrund besitzen die Sonnenflecken Sprengkraft.
Scheiner schickt seine Beo-bachtungen daher in Briefform an den angesehenen Augsburger Verleger Markus Welser, der sie Anfang 1612 unter dem Pseudonym "Apelles" drucken lässt. Der so verborgene Jesuit Scheiner betrachtet die Flecken darin nicht als Gebilde der Sonne, sondern bloß als kleine Wandelsterne, die zwischen der Erde und dem Tagesgestirn vorbei ziehen sollen.
Auch Galilei steht in Briefkontakt mit Bürgermeister Welser. Wie er diesem am 4. Mai 1612 versichert, hätte er die Flecken schon viel länger als "Apelles" beobachtet, nämlich seit 18 Monaten. In Rom will er sie im Frühjahr 1611 sogar Prälaten vorgeführt haben. Doch die zahlreichen "Feinde des Neuen", die "Schwierigkeit des Stoffs" und die Notwendigkeit fortgesetzter Beobachtungen hätten ihn zögern lassen, seine Entdeckung in Buchform zu publizieren. Die Flecken entstünden und zerfielen in mehr oder weniger kurzen Zeiträumen und erinnerten am ehesten an Wolken, betont Galilei. Sie gehörten zweifelsfrei zur Sonne. Wenn sich das Gestirn unrein und fleckig zeige, beharrt der Italiener, solle man es auch so nennen.
Und Galilei spottet: Die von Aristoteles unterstellte Unveränderlichkeit der Himmel fände keine Zuflucht mehr, wenn selbst die erhabene Sonne Flecken zeige. Damit verlöre freilich auch die Erde ihre scheinbare Einzigartigkeit als Hort der Wandlungen. Man darf sie den Himmelskörpern gleich stellen. Genau das aber hat Nikolaus Kopernikus 1543 getan, als er unsere Welt aus der kosmischen Mitte stieß und zu einem von damals sechs bekannten Planeten erklärte.
Galilei sieht, wie manche Flecken hinter dem Sonnenrand verschwinden. Zwei Wochen später kehren sie am anderen Rand zurück, wenngleich in ihrer Gestalt verändert. Das beweist die stete Rotation der Sonnenkugel. Der Philosoph und frühe Kopernikaner Giordano Bruno hatte sie gleichsam vorhergesagt, bevor er im Jahr 1600 als Ketzer verbrannt wurde.
Auch die Sonnendrehung passt nur bedingt ins herrschende Weltbild, in dem kein einziges Gestirn rotiert; schon gar nicht die Erde. Stattdessen soll der Kosmos Tag für Tag um unsere Welt herumjagen. Dreht sich aber die Sonne um eine Achse, darf man Gleiches auch der angeblich so unbewegten Erdkugel zutrauen. Wieder ein Punkt für Kopernikus! Alles in allem sind die neuen Entdeckungen für ihn das "Grabgeläut", ja das "Jüngste Gericht" für die falsche, erdzentrierte Philosophie.
Auch Pater Scheiner wird die Flecken später als Strukturen auf der Sonne anerkennen. Er verfolgt deren Bewegung und leitet so die Neigung der Sonnenachse ab. Vor seiner Übersiedlung nach Wien publiziert der Jesuit das erste wirklich umfassende Werk über diesen Stern. Drei Jahre später, 1633, kniet Galilei vor dem Inquisitionsgericht. Seine Verurteilung verzögert den Siegeszug der kopernikanischen Lehre in Italien; aufhalten kann sie die neue Kosmologie nicht.
Kein Philosoph wäre zu tadeln, wenn er nicht wisse, aus welchem Stoff die Sonnenflecken bestünden - auch das hat Galilei festgehalten. Manche Gelehrte halten die Flecken später für Öffnungen, die Einblick ins vermeintlich kältere Sonneninnere gewährten. Andere sprechen von "schwimmenden Schlacken" auf einem mutmaßlich glutflüssigen Sonnenball. Ende des 19. Jahrhunderts macht die Spektralanalyse klar: Diese Makel unterscheiden sich chemisch überhaupt nicht von der übrigen Sonnenoberfläche, bestehen ebenfalls aus Wasserstoff und Helium. 1908 verrät die Aufspaltung der Spektrallinien ein ganz entscheidendes Charakteristikum: Die Flecken sind Sitz enormer Magnetfelder!
Heute wissen wir: Im 15 Millionen Grad Celsius heißen Sonnenzentrum verschmelzen in jeder Sekunde weit über 500 Millionen Tonnen Wasserstoff zu Helium. Die frei werdende Energie müht sich lang durch den riesigen Sonnenball. Erst auf den letzten 200.000 Kilometern übernimmt die Konvektion den Energietransport, ähnlich wie in einem brodelnden Kochtopf. Auf der Sonne steigen heiße Gasblasen mit je 1000 km Durchmesser auf. Diese Granulen (lat. granum, Korn) erbrechen sich schließlich an die Oberfläche und schenken ihr eine feinkörnige Struktur. Das Antlitz des Sonnenballs, "Photosphäre" genannt, wird dabei 5500 Grad C heiß. Nur deshalb schenkt es uns so viel Licht und Wärme.
Differenzielle Rotation
Wie schon Christoph Scheiner anhand der Flecken zeigte, rotiert der Sonnenball nicht überall gleich schnell. Ein Punkt am Sonnenäquator dreht sich in 25 Tagen herum, einer in 70 Grad Breite braucht fünf Tage länger. Diese differenzielle Rotation hat Folgen. Das Magnetfeld muss der heißen Materie folgen. Eine anfangs von Nord nach Süd verlaufende magnetische Feldlinie wird daher aufgewickelt wie eine Spaghetti-Nudel um die Gabel - und dabei extrem verstärkt. Gleichzeitig treibt sie durch die Konvektionszone nach oben. Nach mehreren Monaten durchstößt sie die Photosphäre, wie der Leib eines gekrümmten Wurms. An solchen Orten ist das Magnetfeld zehntausendmal intensiver als auf Erden.
Diese extrem starke magnetische Störung behindert die Konvektion, also das Aufsteigen der heißen Granulen. Die Temperatur sinkt daher lokal um etwa 2000 Grad C ab. Die Lichtproduktion verringert sich entsprechend. Resultat ist ein dunkler Fleck, oft größer als unsere Erde selbst. Wie schon Galilei wusste, sind diese Flecken aber nicht wirklich schwarz. Sie erscheinen nur im Kontrast zum lichtglühenden Feld der Sonnenoberfläche so. In Wahrheit strahlt jeder Fleck gleißend hell. Er ist, wie wir heute wissen, heiß wie die Oberfläche eines roten Riesensterns.
Galilei bemerkte auch, dass die Flecken oft "in einem Teile dichter und dunkler sind als im anderen". Bei größeren Gebilden erkennt man um die Kernzone (Umbra, lat. Schatten) nämlich auch einen grau anmutenden Hof, die Penumbra (Halbschatten). Sie zerfällt in nach außen gerichtete schmale Filamente, in denen Gas mit 30.000 km/h dahin schießt. Zum Rand hin nimmt die magnetische Feldstärke ab. Oft taucht in der Nähe noch ein zweiter Fleck mit entgegengesetzter magnetischer Polarität auf. Die Feldlinien treten dann beim einen aus, beim anderen ein. Das vorauseilende Gebilde ist meist größer und langlebiger.
Dazwischen können sich weitere Flecken bilden, die teils von einer gemeinsamen Penumbra umschlossen werden. Die ganze Fleckengruppe mag hunderttausende Kilometer überspannen.
Begleitet wird sie von einer ganzen Herde überheißer, heller Fackeln, die in magnetisch gestörten Gebieten auflodern. Anscheinend sah sie schon Galilei: "Die kleinen, helleren Stellen", so schrieb er 1614, wären "weitaus schwieriger zu beobachten als die Flecken" und ließen sich "nur ziemlich schwer erkennen". Der Kontrast der Fackeln ist tatsächlich äußerst gering. Der enormen Gesamtfläche wegen strahlen die Fackelherde letztlich mehr Licht ab, als die dunklen Flecken der Sonne rauben. So paradox es klingt: Bei hoher Fleckenaktivität gleißt dieser Stern um ein Tausendstel heller als mit makellosem Antlitz.
Endlich verliert die Magnetstörung an Kraft. Die Fleckengruppe zerfällt und ist nach wenigen Wochen Geschichte. Die Fackeln leuchten länger. Manchmal, das betonte Galilei, erkenne man viele, dann wiederum wenige Flecken; manchmal gar keine. Wie der Astronom Samuel Heinrich Schwabe 1843 bemerkte, schwankt die mittlere Fleckenanzahl rhythmisch. Im Schnitt durchlebt die Sonne alle elf Jahre ein Aktivitätsmaximum. Das nächste wird 2013 erwartet.
Optische Geräte sind wie Brenngläser. Blickt man durch ein Fernglas oder ein Fernrohr auf die Sonne, droht sofortige Erblindung - ohne Vorwarnung und für immer! Schutz bieten nur sehr spezielle Filter, die stabil am Objektiv, also zwischen Sonne und Optik, befestigt werden. Astronomiefachhändler führen sie. Für die alte Projektionsmethode auf einen weißen Schirm eignen sich moderne Instrumente selten: Eingebaute Plastikteile schmelzen in der Gluthölle.
Christian Pinter, schreibt seit 20 Jahren für die "Wiener Zeitung" über astronomische Themen. Internet: www.himmelszelt.at
In Wien bietet die Urania-Sternwarte
bei klarem Himmel ungefährliche Möglichkeiten der Fleckenbeobachtung -
und zwar am 28. 8., 11. 9. und 25. 9. um jeweils 11 Uhr. Internet:
www.urania-sternwarte.at