Zum Hauptinhalt springen

Himmlischer Kreißsaal

Von Christian Pinter

Reflexionen
Zuerst umgab eine Scheibe aus Staub und Gas unsere Sonne vor 4,56 Milliarden Jahren - und schließlich blieben vier Planeten mit fester Oberfläche (Merkur, Venus, Erde und Mars) und vier sonnenferne Gasriesen (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) übrig.
© NASA

Material- und Fernstudien sowie Computersimulationen zeigen, wie die Geburt der Planeten vonstatten ging.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Eigenschaften unserer acht Planeten, ausgeklügelte Laboruntersuchungen an Meteoriten, spannende Computersimulationen und das Fernstudium von sehr jungen, fremden Sternen - all das verrät Astronomen, wie unser Sonnensystem einst entstanden ist.

Demnach kollabierte, als das Universum rund neun Milliarden Jahre alt war, eine kalte Molekülwolke in der Milchstraße. Sie bestand zu 98 Prozent aus Wasserstoff und Helium. Der Rest war Staub, der zuvor in anderen Sternen produziert und ins Weltall geblasen wurde. Die Wolke teilte sich in Filamente und rundliche Verdichtungen: Eine dieser Globulen sollte unsere Heimat werden.

Während die Globule in sich zusammenstürzte, nahm ein Gasball in ihrer Mitte Gestalt an. Die Globule nährte diesen Protostern wie eine kosmische Gebärmutter. Er wuchs und wuchs. Dabei verstärkte sich seine Anziehungskraft: So riss er immer mehr Material an sich.

Einst rotierte die Globule gemächlich. Doch beim Kollaps nahm ihre Umdrehungsgeschwindigkeit dramatisch zu - wie bei einer Eistänzerin, die während der Pirouette ihre Arme zum Körper zieht. Des enormen Tempos wegen verfehlte ein Teil der herabstürzenden Materie nun den Protostern. Die zunächst rundliche Wolke flachte ab, mutierte zu einer diskusförmigen Akkretionsscheibe (lat. accretio, Zunahme).

Beim Kollaps der Globule stießen Gas- und Staubteilchen immer häufiger zusammen. Sie erhitzten sich dabei ungemein. Der Staub verdampfte in der Gluthülle. Doch vor 4,568 Milliarden Jahren kondensierten endlich wieder erste Materiekörner in einiger Distanz zum Protostern aus. Diesen Zeitpunkt betrachtet man als den eigentlichen Startpunkt der Planetenbildung.

Terrestrische Planeten

Die Temperatur lag jetzt bei rund 1300 Grad Celsius - und fiel. Zunächst nahmen nur die aller schwerflüchtigsten Elemente wiederum die feste Form an, darunter Iridium, Platin, Aluminium, Titan, Calcium, Magnesium, Silizium, Eisen oder Nickel. Calcium- und aluminiumreiche Minerale wie Korund, Perowskit, Spinell, Diopsid oder Pyroxen entstanden. Flüchtigere Substanzen folgten später. Anfangs waren die frischen Staubteilchen kleiner als Sandkörner. Sie maßen bloß einige Tausendstel Millimeter. Das Licht des Protosterns lud sie elektrisch auf. Auch deshalb blieben die Partikel aneinander haften: Die Aggregate wuchsen so ähnlich wie Staubflusen und Staubmäuse unterm Bett oder hinter der Zimmertür.

Die um den Protostern treibenden "Wollmäuse" waren flockig aufgebaut: Sie besaßen wenig Masse, aber vergleichbar viel Volumen. Daher nahmen sie leicht weiteres Material auf. Vor einigen Jahren hat man diesen Vorgang erfolgreich im Space Shuttle simuliert - in der Schwerelosigkeit und in Niedrigdruckkammern.

An den silikatreichen Aggregaten kondensierte außerdem Gas. Ein Teil der Materie rettete sich so vorm Hinweggefegtwerden und machte die Stauboberflächen noch "klebriger". Bei sanften Begegnungen entstanden aus den Staubmäusen somit Objekte von Zentimeter- bis Metergröße. Bei höherem Tempounterschied wurde ihnen ihr Tête-à-Tête allerdings zum Verhängnis: Die Körper prallten mit zerstörerischer Wucht aufeinander und zerbrachen. Es ist ein Rätsel, wie sie dieses problematische Entwicklungsstadium überstanden und dabei sogar noch an Größe gewannen.

Irgendwann kreisten jedenfalls Billionen Brocken von einem oder mehreren Kilometern Durchmesser in der Akkretionsscheibe. Diese Planetesimale hatten schon genug Masse, um einander aktiv anzuziehen. Kam es nun zu Karambolagen, vereinigten sich die Kontrahenten nicht nur - auch die weggeschleuderten Splitter regneten oft wieder auf sie herab. So wuchsen die Planetesimale munter weiter. Schließlich existierte ein ganzes Heer von Planetenembryos oder Protoplaneten mit jeweils ein- bis dreitausend Kilometern Durchmesser. Viele verschmolzen miteinander und bauten so, nach und nach, richtige Planeten auf.

Im inneren Sonnensystem war es heiß. Leichtflüchtiges konnte da nur schwer kondensieren, wohl aber Metalle und Silikatminerale mit hohen Schmelzpunkten. Deshalb wurden hier vergleichsweise kleine Welten mit hoher Dichte geboren: Merkur, Venus, Erde und Mars. Man spricht von den "Gesteinsplaneten" oder, der erdähnlichen Zusammensetzung wegen, von den "terrestrischen Planeten". Sie besitzen feste Oberflächen.

Ein Strom geladener Teilchen, der Sonnenwind, drängte das flüchtige Material der Akkretionsscheibe weiter nach außen. Erst ab der sogenannten "Frostgrenze" gefror auch der Wasserdampf. Das Wassereis mischte sich in den steinernen Baustoff der fernen Planetesimale. Dieses Materialreichtums wegen ballten sich jenseits der Frostgrenze Planetenkerne mit dem jeweils Fünf- bis Zehnfachen der Erdmasse zusammen. Deren enorme Anziehungskraft reichte, um in einem zweiten Schritt reichlich Wasserstoff- und Heliumgas aus der Akkretionsscheibe zu rauben. Jupiter besaß den besten Platz. Er brachte schließlich 318 Erdmassen "auf die Waage". Saturn folgte ihm mit 95.

Goliaths aus Gas

Allerdings wäre der Aufbau derart großer Planetenkerne sehr zeitraubend. Für manche Forscher entstanden die Gasplaneten daher ohne Umweg über feste Kerne: Ihrer Meinung nach kollabierten einfach dichtere Regionen der Akkretionsscheibe und formten so die Riesenwelten. Wie auch immer: Jeder Goliath war anfangs wohl selbst von einer eigenen, kleineren Akkretionsscheibe umkränzt. Daraus bildeten sich nämlich die auffallend mächtigen Monde der Riesenplaneten.

Hinter dem Mars wäre Raum für einen weiteren terrestrischen Planeten gewesen. Doch der Gasriese Jupiter vereitelte dessen Heranreifen. Mit seiner gewaltigen Anziehungskraft störte er die Bewegung der Planetesimale vor seiner Haustür; er zog deren Bahnellipsen in die Länge, bis die Körper mit allzu hoher Relativgeschwindigkeit ineinander krachten und heillos zersplitterten. Zurück blieben die Kleinplaneten. Deren Reich setzt sich aus wenigen Protoplaneten zusammen, aus vielen Planetesimalen und aus einer unüberschaubaren Schar winziger Kollisionssplitter.

Zu den Protoplaneten im Kleinplanetengürtel zählt die eigentümliche Ceres mit knapp tausend Kilometern Durchmesser. Sie wird gerade von der NASA-Sonde "Dawn" erforscht. Die meisten Kleinplaneten sind viel schmächtiger. Mangels Masse reicht ihre Schwerkraft nicht einmal, um für rundliche Gestalt zu sorgen. Oft ähneln sie in der Form eher Kartoffeln oder Erdnüssen. Die noch viel kleineren Kollisionssplitter stürzen bis heute als Meteorite zur Erde.

Noch weiter draußen war es richtig frostig. In den dort kreisenden Planetesimalen steckte viel mehr Eis als Gestein. Allerdings dünnte die Materie in derart weitem Abstand schon aus, was Planetengeburten zum Geduldsspiel machte. Es hätte mehrere Dutzend Millionen Jahre gedauert, um einen Uranus oder einen Neptun mit 15 bzw. 17 Erdmassen zu formen. So lang existierte die Akkretionsscheibe aber nicht.

Vermutlich lag der Kreißsaal dieser beiden Gasplaneten, mitunter auch "Eisplaneten" genannt, viel weiter innen. Nach der Geburt machten sich Uranus und Neptun dann auf Wanderschaft, pilgerten hinaus in fernere Gefilde. Was ihren langen Marsch antrieb, ist umstritten. Es existieren mehrere konkurrierende Migrationsmodelle. In einer Variante tauschen Uranus und Neptun sogar den Platz.

Ein anderes Modell lässt den Jupiter weit ins Innere des Sonnensystems ziehen, wobei er den terrestrischen Planeten Baumaterial raubt. Nach einer weiteren Computersimulation hätte er sogar einige hypothetische Welten nahe der Sonne zerstört. Zurück blieben an Masse und Gas verarmte Trümmer. Erst sie sollen dann das Baumaterial für Merkur, Venus, Erde und Mars abgegeben haben.

Als der Saturn entstand, drehte dessen Anziehungskraft die Marschrichtung des Jupiters wieder um. Der Riese wanderte zurück und landete schließlich auf seinem heutigen Platz. Während Uranus und Neptun nach außen zogen, schleuderten sie Milliarden Planetesimale in die dunkelsten Randbezirke des Sonnensystems. Manchmal geraten solche berggroßen, eisreichen Objekte neuerlich außer Kurs. Ins innere Planetensystem driftend, verwandeln sie sich in Kometen.

Die Wasserträger

Was hinter der Neptunbahn keimte, kam mangels Baumaterial nicht mehr übers Protoplanetenstadium hinaus: Mit einem Durchmesser von jeweils 2300 Kilometern spielen der Pluto und die Eris gleichsam König und Königin im diesem unüberschaubar weiten Reich der transneptunischen Objekte.

Der zentrale Protostern wuchs gemeinsam mit den Planeten. Nach nur zehn Millionen Jahren hatte er genug Masse aufgesammelt, um seinen Fusionsreaktor hochzufahren. Das machte ihn zum richtigen Stern - eben zur Sonne. In ihrem Innersten wurde nun Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Die Sonnenstrahlung blies alles Gas und allen Staub fort. Die Planeten räumten derweil ihre Bahnen von Bauschutt frei; sie kehrten ihn auf oder kickten ihn weg. Fazit: die Akkretionsscheibe verschwand.

Unklar ist, wie die anfangs heiße Erde zu ihrem Wasser kam. Steckten in ihrem Baumaterial genug Wassermoleküle? Vermutlich wurde ihr das kostbare Nass erst später zugestellt - durch Kollisionen mit großen Protoplaneten oder beim Einschlag unzähliger Kleinplaneten bzw. Kometen. Hauptsache, die "Wasserträger" stammten aus dem äußeren, kühleren Bereich des Sonnensystems.