Serbien versucht den Spagat zwischen EU-Beitrittsambitionen und traditioneller Sympathie für Russland.
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Belgrad. Serbien fühlte sich in den vergangenen Wochen und Monaten gehörig unter Druck. Hin- und hergerissen zwischen den EU-Beitrittsbestrebungen und seiner Loyalität zum langjährigen Partner Russland, wählte man den diplomatischen Mittelweg. "Das Ziel Serbiens ist, EU-Mitglied zu werden, aber gleichzeitig die guten Verhältnisse zu Russland zu wahren", sagte Serbiens Premier Aleksandar Vucic anlässlich des Besuches von Sergei Lawrow, Außenminister der Russischen Föderation.
Thema des Besuchs von Lawrow war am Dienstag unter anderem die Erdgaspipeline South Stream des russischen Konzerns Gazprom, mit welcher künftig unter Umgehung von der Ukraine Erdgas nach Europa befördert werden soll. Sie soll unter anderem durch Serbien und Österreich verlaufen. Aufgrund der Krise in der Ukraine und weil die EU-Kommission die Verträge zwischen dem Projektträger, der russischen Gazprom, und den einzelnen EU-Ländern überprüfen will, liegt das Projekt auf Eis. In Serbien hätte der Bau des Teilstücks bereits im Juli beginnen sollen. South Stream ist nicht die einzige Verbindung in Sachen Abhängigkeit von russischem Gas: Der EU-Beitrittskandidat hat auch seinen wichtigsten Energiekonzern, die Erdölindustrie NIS (Naftna Industrija Srbije) an die Gazprom verkauft.
Kosovo ist die "Wiege des Serbentums"
Ein verbindender Faktor der beiden Länder ist auch die Kirche. Die einflussreiche Serbisch-Orthodoxe Kirche holt sich immer wieder Unterstützung in Moskau, etwa wenn es darum geht, Kosovo und Kirchenland (Metochien) als die "Wiege des Serbentums" zu wahren. Der Kosovo hatte sich 2008 von Serbien abgelöst und für unabhängig erklärt. Um die EU-Beitrittsverhandlungen beginnen zu können, musste Serbien dem Kosovo Zugeständnisse machen, eine Anerkennung schloss Serbien bisher jedoch aus. Russland hatte im Kosovo-Krieg 1999 auch gegen einen Nato-Luftangriff Serbiens gestimmt, auch das dankt Serbien dem "Großen Bruder". "Ohne die Unterstützung Russlands und Chinas als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wäre Serbien beim Kosovo heute auf verlorenem Posten", sagte der serbische Außenminister Ivica Dacic am Dienstag. Russland hat den Kosovo ebenfalls nicht anerkannt und als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat auch eine Resolution zum Kosovo verhindert. Der Kosovo diente dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Abspaltung der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland als Vergleich, was von Serbien zwar nicht goutiert, aber die Verhältnisse nicht getrübt hat.
Serbiens EU-Beitritt wird frühestens 2020 erwartet. Obwohl dieser Zeitpunkt in weiter Ferne scheint, ist die vermeintliche Entscheidung "Russland oder EU" fast täglich Thema in serbischen Medien. "Ist der Honeymoon zwischen der EU und Vucics Regierung nun zu Ende?", fragte etwa die staatliche Zeitung "Politika", nachdem Serbien sechs EU-Deklarationen, die die Ukraine zum Thema hatten, nicht unterstützt hatte. Worum es dabei genau ging, wurde in der Zeitung nicht beantwortet.
Serbiens Abwarten negativ für EU-Fortschrittsbericht
Ein EU-Diplomat in Belgrad hält die Aufregung für übertrieben, sagte jedoch der "Wiener Zeitung": "Wenn man einem Klub angehören will, muss man früher oder später auch die Bedingungen akzeptieren." Laut der Zeitung "Politika" könnte aber Serbiens abwartende Position sehr wohl nachteilig sein. Das Ergebnis wird im Fortschrittsbericht der EU-Kommission zu lesen sein.
"Wir achten Serbiens Position bei den EU-Beitrittsverhandlungen", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag nach einem Treffen mit seinem serbischen Amtskollegen Dacic. Dieser sagte: "Warum würde man nur von Serbien verlangen, sich "entweder/oder" zu entscheiden, während andere EU-Länder die besten Verhältnisse mit Russland haben." Glaubt man den Meinungsumfragen in Serbien, steigt Russland gegenüber der EU imagemäßig besser aus. So ergab etwa eine Befragung des führenden serbischen Meinungsforschungsinstituts Cesti, dass mehr als die Hälfte der Befragten Russland als den besseren Partner für Serbien sieht, während die EU dabei nicht einmal auf ein Fünftel kommt. Dabei wird übersehen, dass der Großteil der Auslandsinvestitionen aus EU-Ländern kommt und dass bisher 2,6 Milliarden Euro an Schenkungen aus der EU nach Serbien geflossen sind. Geld aus Russland erreichte Serbien bisher nur in Form von Krediten.
Reger Besuch
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) absolviert am Donnerstag und Freitag einen Besuch in Serbien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, gemeinsam mit Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ). Auch Außenminister Sebastian Kurz und Justizminister Wolfgang Brandstetter (beide ÖVP) sind dieser Tage in Südosteuropa. In Albanien betonten sie am Dienstag, den Weg des Landes in die Europäische Union unterstützen zu wollen. Mittels einer Rechtsstaatlichkeitsinitiative beider Ministerien sollen die Reformbemühungen Albaniens im Justizbereich unterstützt werden. Albanien hofft, beim Europäischen Rat Ende Juni den Kandidatenstatus zuerkannt zu bekommen.
Faymanns Reise verfolge drei Schwerpunkte, hieß es aus dem Büro des Kanzlers. Dort, wo vor hundert Jahren der Erste Weltkrieg seinen Ausgang genommen habe, seien heute wieder österreichische Soldaten stationiert. "Aber zur Friedenssicherung." Zudem stehe die Visite im Zusammenhang mit der Hilfe für die jüngst von schweren Unwettern heimgesuchten Region. Drittens soll mit dem Besuch die weitere Unterstützung Österreichs für den inneren Reformprozess der Länder ausgedrückt werden.