Im aktuellen Menschenrechtsbefund werden massive Reformen im Maßnahmenvollzug für nicht schuldfähige Straftäter gefordert. Eine Arbeitsgruppe soll für das Justizministerium Lösungen finden.
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Wien. Er habe bereits "Verwesungsgeruch" ausgeströmt, schrieb der "Falter" im Mai dieses Jahres über einen verwahrlosten Häftling in der Justizanstalt Krems-Stein. Dazu gab es erschreckende Bilder eines alten Mannes mit entzündeten Füßen und zentimeterlangen Zehennägeln.
Der 74-Jährige befindet sich im Maßnahmenvollzug, er ist ein nicht schuldfähiger Straftäter -der Fall brachte Missstände ans Tageslicht, "die seit Jahren bekannt gewesen sind", sagte Barbara Helige, Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte, am Mittwoch. Anlässlich des internationalen Tages für Menschenrechte präsentierte sie den Menschenrechtsbefund 2014, in dem vor allem eines gefordert wird: eine tiefschürfende Reform des Maßnahmenvollzugs.
Rund 70 Prozent schizophren
Therapieangebote müssten ausreichend zur Verfügung stehen, fordert Helige. Die Behandlung soll zum Teil dem Gesundheitssystem übertragen werden, um durch gezielte Therapien Straftäter so weit zu "heilen", dass sie entlassen werden können. Die Zahl der im Maßnahmenvollzug angehaltenen Insassen ist nämlich explodiert: Derzeit sind es 800 der insgesamt 9500 Gefängnis-Insassen, das ist fast dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Die Zeit in der Maßnahme wird auch immer länger. Rund 70 Prozent leiden unter Schizophrenie.
Albin Simma, Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft, pocht ebenfalls seit Jahren auf eine Entlastung der Justizwachebeamten durch Krankenpfleger und Betreuer. "Wir sind überfordert und nicht fähig, geistig abnorme Rechtsbrecher zu behandeln", sagt er zur "Wiener Zeitung". "Das müssen Fachkräfte übernehmen."
"Derzeit bedeutet Maßnahmenvollzug nur eine zeitlich unbegrenzte Sicherungsverwahrung", sagt Helige - mit Betonung auf "zeitlich unbegrenzt". Die Maßnahmen werden im Unterschied zur Strafhaft ohne zeitliche Begrenzung ausgesprochen. Das Gericht muss nur einmal jährlich prüfen, ob eine weitere Anhaltung notwendig ist. Eine klare Regelung im Verfahren zur Entlassung aus einer Maßnahme gibt es laut Helige nicht. Fairerweise müssten dafür die selben Verfahrensmittel gelten wie für die Einweisung.
Das Justizministerium sei sich der Problematik bewusst, heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Unmittelbar, nachdem der Fall des verwahrlosten Häftlings publik geworden war, hat Justizminister Wolfgang Brandstetter eine Arbeitsgruppe zum Thema Maßnahmenvollzug eingerichtet. Bis Ende des Jahres sollen die Experten Lösungsvorschläge ausgearbeitet haben. Dabei soll es auch um die Fragen der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug und der Miteinbeziehung des Gesundheitssystems gehen.
Kosten noch nicht budgetiert
Bleiben noch die Fragen der Finanzierung und der Organisation. Die Kosten für die Reform des Maßnahmenvollzugs sind zwar laut Brandstetter noch nicht budgetiert, in jedem Fall sollten sich aber Länder, Vertreter der Justiz und des Gesundheitssystems zusammensetzen. Aktuell verweist das Gesundheitsministerium auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" auf das Sozialministerium, da dieses ja den Bereich Pflege über hat. Letzteres sieht sich indes nur für einen Teilbereich und nicht die Gesamtproblematik zuständig.
Bereits heute, Donnerstag, kommt voraussichtlich Bewegung in die Thematik, wenn die Reform des Straf- und Maßnahmenvollzugs im Nationalrat beschlossen werden soll. Damit wird die Vollzugsdirektion (Aufsichtsbehörde über den Strafvollzug) aufgelöst. An ihre Stelle tritt die Generaldirektion, die dem Ministerium unterstellt ist und die Vollzugs- und Betreuungsagenden übernimmt.
Wissen
Straftäter im Maßnahmenvollzug (gibt es seit 1975) können wegen mangelnder Schuldfähigkeit nicht verurteilt werden. Mit deren Freiheitsentziehung sind vorbeugende Maßnahmen verbunden. Sie werden in bestimmten Justizanstalten untergebracht.