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Obwohl der Herr Geheimrat Goethe wusste, dass das Gute so nah liegt, schweifte er in die Ferne. Da hats der Berliner von heute leichter, seine Italien-Sehnsucht zu befriedigen.
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Immer schon hatten die Deutschen ein besonderes Faible für das Land, wo die Zitronen blühn. Immer noch gehört Italien - nach Spanien und Österreich - zu den beliebtesten Urlaubszielen unserer nördlichen Nachbarn.
Was für den Dichterfürsten anno 1786 eine mittlere Weltreise war, ist auch für den Urlaubsprofi unserer Tage noch ein mittleres Abenteuer; Staus, Autobahnmauten und Streiks nicht eingerechnet.
Eine günstige Alternative bietet sich für die Einwohner der Hauptstadtregion um Berlin an: Innerhalb der Stadtgrenzen und ein Stück darüber hinaus befindet sich ein Seengebiet in einer reizvollen und idyllischen Landschaft, mit zahlreichen Kanälen und Seitenarmen, Brücken und Stegen.
Der Ortsteil nennt sich zutreffend "Neu-Venedig". Man kann nämlich die ganze Siedlung vom Wasser aus erschließen. In den schmalen Kanälen ist die Raserei nicht nur verboten, sondern sowieso unmöglich. So herrscht zwischen den Badenden, den Kanuten, den Ausflüglern, Anglern und Anwohnern friedliche Koexistenz.
Wie es sich für das Mini-Venedig ziemt, kommt man vom Lagunenweg im Osten zum Rialtoring im Westen. Unsere Fahrt begann jedoch beim Bootsverleih in Erkner, einem Städtchen direkt vor Berlin, führte uns vom kleineren Dämritzsee auf den Großen Müggelsee, der mit seinen siebeneinhalb Quadratkilometern schon fast ein kleines Binnenmeer ist. Und von dort aus drangen wir dann in das Gebiet von Neu-Venedig vor. Die Spree bildet dort ein Delta, in dem sich fünf Kanäle netzartig verzweigen. Zwölf Brücken führen darüber hinweg, zum Teil so niedrige, dass größere Schiffe von vornherein ausscheiden.
Bis 1924 breiteten sich hier sumpfige Wiesen aus. Die Gutsherren beschlossen deren Trockenlegung und befestigten das Land. Kanäle zog man durch das Feuchtgebiet, dazwischen entstand feinstes Siedlungsgebiet mit fantastischen Wassergrundstücken.
Das wussten insbesondere die "Gleicheren unter den Gleichen" der DDR-Nomenklatura zu schätzen und sicherten sich reihenweise die "Gustostückerln", um dort ihre "Datschen" zu errichten. Für West-Berliner war das Gebiet praktisch unerreichbar. Seit die Mauer weg ist, haben sich aber auch zahlreiche "Wessies" dort angesiedelt. Neben einfachen Holzhütten stehen oft wunderbare Traumvillen. Allen Bewohnern gemeinsam ist der sichtbare Hang zur Gartenpflege.
Man gleitet unter Trauerweiden und Hängebirken vorbei an einem vielfältigen botanischen Garten der spontanen und zufälligen Art. So mancher hat Hängende Gärten errichtet, die stufenweise zum Wasser abfallen. Andere verzieren ihr grünes Fleckchen mit einer Menagerie aus bronzenen Fischreihern, hölzernen Kühen, goldenen Fröschen und steinernen Enten.
Vor jedem Grundstück liegt irgendein Boot. An ihm kann man den sozialen Status des Eigentümers ablesen, oder wenigstens den, den er sich gerne geben möchte. Ebenso vielfältig ist die Art ihrer Unterbringung - der Boote nämlich. Der einfache Kahn ist angeblockt. Dann steigert es sich zum "Boat-Port" und gipfelt schließlich im pompösen, rundum geschlossenen Bootshaus. Und sogar in die Häuser selbst werden Bootsgaragen eingebaut; vermutlich schläft es sich so ruhiger - unter einem Dach mit dem Statussymbol.
Meine Frau hat mir während der Bootsfahrt klargemacht, dass es ihr lieber sei, durch die Gegend zu schippern, als ein solches Grundstück zu besitzen. Schon allein Schaulustige wie unsereins würden ihr auf die Nerven gehen. Und außerdem sei Neid eine Todsünde.