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Regierung will Steuerhinterziehung einen Riegel vorschieben - wieviel ist da noch zu holen?
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Athen. Der unangefochtene König der Steuerschuldner ist Nikos Kasimatis, 63 Jahre alt und von Beruf Buchhalter und Steuerberater. Keiner schuldet Griechenlands Fiskus mehr: 952.087.781,55 Euro.
So viel war es Anfang 2012. Der größte Teil bestand aus Bußgeldern, Strafzuschlägen und Zinsen. Kasimatis’ Schulden stiegen aber seither wegen der Zinsen weiter. Die Milliarden-Marke hat er schon längst geknackt.
Im Juni 2009 hat er seine Haftstrafe im berüchtigten Gefängnis "Diavata" in der Nähe von Thessaloniki angetreten; Kasimatis ist zu einer Freiheitsstrafe von kumuliert mehr als 600 Jahren verurteilt worden - wegen Nichtbegleichung von Schulden gegenüber dem Staat sowie der Mittäterschaft bei der Ausstellung von Scheinrechnungen.
Kasimatis war ab 1975 als Buchhalter in diversen Firmen in Nordgriechenland tätig. Immer wenn ein Geschäftsjahr abzuschließen war, sei es zu einem Deal mit Bestechungsgeldern, zwischen der Firma und den Steuerbeamten gekommen. "Die Formel lautete 40-40-20. Betrug die Steuer normalerweise 100.000 Euro, bekamen die Steuerbeamten 40.000 Euro und der Fiskus 20.000 Euro. Die Firma hatte 40.000 Euro an Steuern gespart", erklärt Kasimatis.
1996 begann er als Vermittler zwischen Firmen und korrupten Beamten zu fungieren, Scheinrechnungen im großen Stil wurden ausgestellt. 2001 kam ihm die Steuerfahndung SDOE auf die Schliche.
Kasimatis ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Die rechtskräftigen Steuerschulden sind in Griechenland per Ende 2014 auf den historischen Rekordstand von 73,7 Milliarden Euro gestiegen, alleine im Dezember 2014 kletterten sie um 1,268 Milliarden Euro, Tendenz stark steigend.
Mittlerweile stehen vier der insgesamt elf Millionen Griechen - Säuglinge und Greise mitgezählt -beim Fiskus in der Kreide. Nicht nur Privatpersonen wie Kasimatis schulden dem Staat Geld, das wohl nie eingetrieben werden kann. Auch bei jenen Firmen, die horrende Steuerschulden haben, ist oftmals nichts mehr zu holen. Viele gibt es gar nicht mehr.
Seit dem Ausbruch der Krise kämpft Athen gegen ein System von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug - ohne signifikanten Erfolg. Die gesamten Steuereinnahmen des Staates, sowohl der direkten als auch der indirekten Steuern, verharrten im Jahr 2014 bei rund 45 Milliarden Euro. Und dass, obgleich die Regierung alles Mögliche unternommen hat: Bestehende Steuern und Abgaben wurden massiv erhöht, neue Steuern eingeführt, Hunderte Steuerschuldner verhaftet.
Dennoch: Athens neuer Finanzminister Yanis Varoufakis hat Griechenlands öffentlichen Gläubigern bestehend aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds in einer jüngst präsentierten Reformliste versprochen: "Wir werden die Steuerhinterziehung und den -betrug entschieden bekämpfen."
Durch die Zusage dieser Reformbemühungen konnte Griechenland ein Stück weit das Vertrauen der Geldgeber erlangen. Am Montag erklärte etwa der Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, Athen kann schon im März auf eine Milliardenüberweisung seiner Euro-Partner hoffen. Voraussetzung sei, dass in Athen mit der Umsetzung von Reformen begonnen werde.
Zweifler fragen sich, wie das Halali auf Steuerhinterzieher in der Praxis gelingen soll.
Harry Theocharis, 44, jugendliches Gesicht, Scheitel, sitzt im legendären Café des Athener Parlaments. Anfang 2013 war Theocharis, ein IT-Spezialist, Griechenlands oberster Steuereintreiber geworden. Der Twitter-Junkie, der die Steuerpflichtigen schon mal tief in der Nacht per Tweet an ihre Zahlungsverpflichtungen erinnerte, war laut Gesetz mit einem Fünf-Jahres-Vertrag ausgestattet. Doch Anfang Juni vorigen Jahres wurde er plötzlich ins Athener Finanzministerium bestellt. Er trete "aus persönlichen Gründen" zurück, sagte Theocharis nach dem Treffen sichtlich konsterniert. Niemand glaubte ihm.
Steuererklärungen passieren nun großteils elektronisch
Der Volkssport Steuerhinterziehung werde zu Füssen der Akropolis in der Krise noch mehr als in normalen Zeiten getrieben, konstatieren Experten unisono. Die einen hätten schlicht keine andere Wahl, um zu überleben. Die anderen, wie zum Beispiel die Besserverdiener unter den Ärzten und Rechtsanwälten im Lande, wollten so ihren Lebensstandard halten - der Krise zum Trotz.
Griechenland habe sehr wohl Fortschritte gemacht, eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen, so Theocharis, der seit den jüngsten Parlamentswahlen Abgeordneter, für die junge "Fluss"-Partei ist. Denn immerhin würden mittlerweile 97 Prozent der Steuererklärungen elektronisch eingereicht und bearbeitet werden, bis 2008 seien es nur 30 Prozent gewesen. Damit konnte auch die Zahl der Finanzämter um mehr als die Hälfte reduziert werden - von landesweit 290 auf 118 reduziert werden.
Sollten nicht die Reichen in Griechenland höher besteuert werden? Theocharis schüttelt den Kopf: "Dann würden wieder nur die Ehrlichen die Zeche zahlen, nicht die, die sowieso Steuern hinterziehen." Und was ist mit dem grassierenden Öl- und Tabakschmuggel? "Da ist nicht so viel zu holen, wie manche denken."
Das sieht ein Steuerbeamter, der bis vor kurzem in führender Position in der Steuerfahndung SDOE "die großen Fische" unter Hellas’ Steuerhinterziehern jagte, ein bisschen anders. "Bisher fehlte es am politischen Willen der Regierenden in Athen, den oberen Zehntausend wirklich auf den Zahn zu fühlen", sagt er der "Wiener Zeitung" unter Wahrung seiner Anonymität. Aber: Wer glaube, der hellenische Fiskus würde mithilfe diverser Listen vermeintlicher griechischer Steuersünder, die in den Athener Steuerbehörden seit geraumer Zeit kursieren, hinterzogene Steuern in nennenswerter Höhe eintreiben, der irre gewaltig, fügt er hinzu.
Der Grund: In der berühmt-berüchtigten Liste Lagarde, in der 2062 griechische Kunden der HSBC-Filiale im schweizerischen Genf genannt werden, seien nur Guthaben in Depots zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgeführt, hebt er hervor. Will heißen: Keine Kontobewegungen, keine Angaben zur Herkunft der Gelder, keine Angaben zu Überweisungen. Die Folge: Die Suche nach unversteuerten Geldflüssen erfordere einen enormen Personalaufwand.
Besser sei es, die Auslandsüberweisungen der Griechen genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn alle würden von der Notenbank in Athen genau erfasst. Allein im Zeitraum 2009 bis 2011 flossen 22 Milliarden Euro ins Ausland, 54.000 Griechen überwiesen die Gelder. "Uns liegen darüber alle Daten vor. Konto-Inhaber, Betrag, Empfänger der Überweisung. Und: Da liegt Geld, worauf wir Zugriff hätten."
Behörden trotz dokumentierter Geldflüsse untätig
Doch bisher sei nur ein Bruchteil der Konto-Inhaber von den Finanzämtern geladen worden, um nachzuweisen, ob ihre Gelder vor der Überweisung ins Ausland versteuert worden sind. Weshalb nur diese dubiose Untätigkeit? Der Ex-SDOE-Mann zuckt mit den Schultern. "Das müssen Sie andere fragen."
Dieser merkwürdigen Lethargie an der Steuerfront werde man ein Ende setzen, beteuert die neue Athener Regierung unter dem Premier Alexis Tsipras vom "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza). Symbolkräftig ernannte Tsipras den Top-Staatsanwalt Panagiotis Nikoloudis zum neuen Sonderminister für Korruptionsangelegenheiten.
Bisher war Nikoloudis Chef der Athener Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche. "Im Augenblick habe ich keine Büros, keine Sekretärin, kein Papier, keinen Schreibtisch, keinen Stuhl", klagte Nikoloudis bei seiner Jungfernrede im Athener Parlament. Dennoch: Er habe bereits 3500 Personen in seinem Visier. Die Höhe der nicht versteuerten Gelder bezifferte Nikoloudis mit fulminanten sieben Milliarden Euro. Doch auch er räumt ein: Eingetrieben sind die diesbezüglich fälligen Steuern, rund 2,5 Milliarden Euro, bis dato nicht.
Dass die neue SRegierung den Mega-Steuersündern den Garaus macht, ist jedoch bitter nötig, um Athens gerade konsolidierte Staatsfinanzen nicht wieder aus dem Ruder laufen zu lassen.
Denn: Tsipras und Co. wollten eigentlich den in der Krise abgeschafften Steuerfreibetrag für Einkommen im laufenden Jahr wieder auf das Vor-Krisen-Niveau von 12.000 Euro anheben. Davon würden die kleinen Leute in Griechenland, unstrittig die bisher größten Krisenopfer, profitieren. Doch schon jetzt steht fest, dass daraus nichts wird - zumindest vorerst. Die Kassen des hellenischen Fiskus sind allzu leer.
Nichtsdestotrotz will die Tsipras-Truppe den Mindestlohn sowie die Sozialleistungen erhöhen und die Renten und Pensionen zumindest nicht weiter senken.
Da könnte ein Mann wie Dimitris Mardas schon bald eine enorme Bedeutung gewinnen, um Griechenland auf Sanierungskurs zu halten. Mardas, 59, Brille, schlank, Workaholic, ist Athens frischgebackener Vize-Minister für Finanzen. Der Wirtschaftsprofessor diagnostiziert die Einnahmenausfälle im Staatshaushalt 2014 auf rund 900 Millionen Euro. Auch im Jänner habe es Steuerausfälle gegeben, allein in jenem Monat noch einmal knapp eine Milliarde Euro - nicht zuletzt wegen der Parlamentswahlen.
Sparstift wird noch einmal bei Staatsausgaben angesetzt
So richte Mardas sein Augenmerk derzeit auf die Ausgaben des griechischen Staates, um das erklärte Ziel nicht zu gefährden, einen ausgeglichenen Haushalt, die Schwarze Null, in diesem Jahr zu schaffen. "Auch in der Krise gab es einen Minister, der mit einem Gefolge von elf Personen zu einem EU-Ministerrat gereist ist", ätzt er. "Das geht gar nicht. Damit ist sofort Schluss".
Kann das alleine Hellas retten? Mardas lapidar: "Das mögen von Fall zu Fall relativ kleine Beträge sein. Aber viele kleine Beträge ergeben eine gigantische Summe."
Mardas glaubt, anders als Theocharis, dem Ex-Ober-Steuereintreiber, dass die Bekämpfung des Öl- und Tabakschmuggels durchaus Früchte tragen kann. Für die neue Regierung sei dies jedenfalls "oberste Priorität". Wie viel das bringe? "2,3 Milliarden Euro, allein in diesem Jahr."