Ein umfangreiches Grundwissen ist die Voraussetzung für das weltweite Netz.
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Wien. Ein Lehrer hat drei Schülern den Auftrag erteilt, ein Referat über Georgien zu halten. Referiert wurde - allerdings über den US-Bundesstaat Georgia. "Die haben den Irrtum gar nicht mal gemerkt", skizziert der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer, Leiter des TransferZentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) der Universität Ulm, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Wenn man den Computer als Arbeitsgerät verwenden möchte, braucht es keine Medienkompetenz, sondern vor allem Vorwissen - damit kann man im Netz die Spreu vom Weizen trennen.
Der Wissenschafter befürchtet angesichts der Tatsache, dass der Computer immer mehr in Schulen, aber mittlerweile auch in Kindergärten zum Einsatz kommt, klare negative Auswirkungen auf den Bildungsprozess. Studien würden zeigen, dass Kinder, die bereits im Kindergartenalter elektronische Medien nutzen, eher zu Lese- und Rechtschreibschwächen neigen, Aufmerksamkeitsdefizite und mehr Schulprobleme haben.
Viele Erwachsene sitzen tagtäglich vor dem Computer - er nimmt ihnen Arbeit ab, das ist gut so. Aber genau deswegen hätten die Geräte bei Lernenden nichts zu suchen, so Spitzer. "Denn wenn man ihnen Arbeit abnimmt, dann passiert im Gehirn weniger. Schüler brauchen keinen Computer, um gebildeter zu werden. Sie brauchen ein paar gute Bücher und gute Lehrer. Sind sie dann gebildet, dann können sie auch googeln und mit dem Netz umgehen." Der sogenannte hermeneutische Zirkel, den man durchleben sollte, findet nicht mehr statt: "Man findet etwas, geht zurück zum Alten, versteht es neu und besser und geht dann zur nächsten Quelle."
Im Gehirn geschieht dies durch die Bildung von Synapsen - Kontaktstellen zwischen den Zellen. Zwischen den ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen bestehen bis zu 500 Billionen Synapsen. Viele davon sind nicht statisch, sondern verändern sich und können damit die Effizienz der Übertragung auf andere Neuronen verändern.
Synapsen können sich aber nur dann verändern, wenn Reize sie durchlaufen. Dies geschieht beim Lernen. Läuft ein Impuls allerdings nur einmal, dann passiert nichts Besonderes. Denn Einzelfälle haben keine Auswirkung auf das Gehirn. Was jedoch ständig wiederholt wird, verfestigt sich in Synapsenstrukturen.
Wird in Klassen mit elektronischen Tafeln (Smartboards) und Laptops gearbeitet, gibt es kein Abschreiben mehr - darunter leidet die Synapsenbildung im Gehirn. "Abschreiben heißt, die Schüler müssen sich etwas merken. Es geht in den Kopf rein und wieder raus. Und damit ist es im Gehirn schon einmal durchgegangen." Mit "Kopieren" und "Einfügen" per Mausclick, "da muss gar nichts oben hinein". Das ist Standardwissen in der Psychologie, betont Spitzer.
Studien, ob die Einführung elektronischer Medien irgendeiner Bildungseinrichtung einen Vorteil gebracht hätte, gibt es laut dem Hirnforscher keine. Hingegen wisse man anhand der Pisa-Daten, dass Computer und Fernseher sowohl im Kinder- als auch im Klassenzimmer die Schulleistungen verschlechtern.
In Südkorea ist etwa geplant, den Unterricht ab 2013 nach und nach flächendeckend elektronisch zu gestalten. Das heißt, keine Schulbücher und keine Hefte mehr. "Das Schöne daran ist", betont Spitzer, "während wir zurzeit die Südkoreaner noch als Konkurrenz in Technik und Ingenieurswissenschaften haben, brauchen wir uns künftig darum keine Sorgen mehr machen. Die werden ihre nächste Generation bildungsmäßig so kaputt machen, dass wir die ganz leicht überrunden."
Aber warum sind Kinder so fasziniert davon? Mit dem Computer kann man natürlich allerlei Lustiges machen. Gibt man etwa das Wort Teddybär ein, so erscheinen 100 Teddybären auf dem Bildschirm. Für eine gewisse Zeit sei das auch durchaus vertretbar, "aber keine sechs Stunden Ballerspiele am Tag". Und dann gibt es da 1000 verbotene Dinge, für die sich die Jugendlichen dann noch mehr interessieren - oft endet der Computerkonsum in einem Suchtverhalten. Mit Maß und Ziel sei hier daher das oberste Gebot.
Geld für Pädagogenhirne
Wichtiger sei, dass die Kinder mit sich selbst etwas anfangen und selbstgesteuert handeln können. "Dass sie nicht nur kuschen und machen, was man ihnen sagt", so Spitzer. Die Fähigkeit der Selbsterfahrung und Selbstkontrolle lernen sie nicht durch Computer sondern durch Theaterspielen, Sport, Bewegung und Musik. Bildungsgelder seien besser angelegt, wenn man sie quasi in die Gehirne der Pädagogen steckt als in Geräte, die in fünf Jahren kaputt oder veraltet sind.
Die Investition müsse im Kindergarten beginnen. Dort sollte man sich auf Bewährtes konzentrieren. Auch auf so alte Hüte wie "Drei Chinesen mit dem Kontrabass" mit U oder "Alles, was Flügel hat, fliegt...". Ein Verhalten, das reflexartig kommt, nicht zu machen, das sei Frontalhirntraining pur. "Eine Generation Hirne ist schnell vermüllt", dem entgegenzusteuern wäre das oberste Gebot. Abschließend stellt Spitzer fest: "Ich bin kein Computerhasser, doch gelernt wird besser mit Herz, Hirn und Hand."
"Neues Lernen" - Vortrag von Manfred Spitzer am 13. Oktober um 15 Uhr in der Wiener Stadthalle.