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Hisbollah schätzte die Reaktion Israels falsch ein

Von WZ-Korrespondent Markus Bickel

Politik

Hisbollah-Chef | erstmals Fehler ein. | Libanesische Gesellschaft gespalten über Entwaffnung. | Beirut. Der Generalsekretär der schiitischen Hisbollah (Partei Gottes), Hassan Nasrallah, hat in einem auf dem libanesischen Fernsehsender NTV am Sonntagabend ausgestrahlten Interview erstmals eingestanden, die Reaktion auf die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten am 12. Juli unterschätzt zu haben. "Wenn wir gewusst hätten, dass Israel wegen der zwei Soldaten einen derartigen Großangriff auf den Libanon beginnen würde, dann hätten wir sie gar nicht erst gefangen."


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Auch Nasrallahs Stellvertreter, Scheich Naim Kassem, räumte am Wochenende in einem Interview mit der liberalen Beiruter Tageszeitung "Al-Nahar" ein, vom Ausmaß und der Stärke der israelischen Reaktion überrascht zu sein.

Libanesische Zeitungen berichten von einem bevorstehenden Strategiewechsel der Hisbollah. Nasrallah und Kassem sollen dabei für eine stärkere innenpolitische Bedeutung der Parteimiliz votieren, während Hardliner für eine Fortführung ihrer Rolle als regionaler Arm der iranischen und syrischen Außenpolitik plädieren.

51 Prozent weiter gegen Entwaffnung

Eine Montag von der Hisbollah-kritischen Tageszeitung "LOrient Le Jour" veröffentlichte Umfrage gibt Aufschluss darüber, inwieweit die zu Kriegsbeginn harsch kritisierte Geiselnahme der Parteimiliz innenpolitisch geschadet hat. So lehnen 51 Prozent der 600 Befragten eine Entwaffnung weiter ab. Innerhalb der schiitischen Bevölkerungsgruppe sind es sogar 84 Prozent. Während unter den sunnitischen Muslimen immerhin 54 Prozent gegen die in UNO-Sicherheitsratsresolution beschlossene Demilitarisierung sind, sprechen sich Drusen (79 Prozent) und Christen (77 Prozent) mit überwältigender Mehrheit für eine Entwaffnung aus.

Die seit Kriegsbeginn immer wieder gestellte Frage, ob die Hisbollah gestärkt oder geschwächt aus dem Konflikt hervorgehen werde, lässt sich weiterhin kaum beantworten. Die Entschlossenheit, mit der der Zivilschutzflügel der Partei, "Dschihad al-Binaa" (Baukampf), die Dokumentation der Schäden und die Entschädigung der Betroffenen angeht, wird ihr sicherlich weiteren Zulauf bescheren.

Die Präsenz von bald bis zu 15.000 ausländischen Soldaten und die Rückkehr der Armee in den Südlibanon aber dürfte den zur Schaffung ihres Images als "nationaler Widerstand" unentbehrlichen bewaffneten Flügel in den Hintergrund rücken. Ob der selbst von Sunniten von Kairo bis Damaskus als "Kriegsheld" gefeierte Nasrallah seinen Ruhm allein mit sozialarbeiterischen Maßnahmen langfristig aufrechterhalten kann, ist fraglich. Nasrallahs Unlust auf eine erneute Konfrontation mit Israel wird in islamistischen Kreisen nicht nur auf Zustimmung stoßen.