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Die Massaker von El Paso und Dayton zwingen die USA in eine neue Rassismus- und Xenophobiedebatte.
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El Paso/Dayton. Bilanz eines amerikanischen Wochenendes: Zwei Massenschießereien, mehr als 30 Tote, dutzende Verletzte, die Fahnen auf Bundesgebäuden von Washington D.C. bis San Diego auf halbmast. Am Samstagmorgen ermordete in El Paso, Texas, ein 21-jähriger, der es auf Menschen hispanischer Herkunft abgesehen hatte, in einem Shoppingzentrum mehr als 20 von ihnen. In die Grenzstadt gekommen war Patrick C. zu diesem Zweck aus der über tausend Kilometer entfernten Kleinstadt Allen. Rund einen halben Tag später eröffnete der 24-jährige Connor B. in Dayton, Ohio, das Feuer auf die Besucher einer Bar. Unter den neun Todesopfern befanden sich mehrheitlich Afroamerikaner, aber auch seine eigene Schwester.
Beide Täter sind, beziehungsweise waren - den Massenmörder von El Paso verhaftete die Polizei, den von Dayton erschoss sie - junge weiße Männer. Der eine wurde offenbar durch die permanente rassistische Rhetorik radikalisiert, die seit Donald Trumps Wahl zum Präsidenten ihren Eingang in den gesellschaftlichen Mainstream gefunden hat. Von den Motiven Letzteren weiß man zum jetzigen Zeitpunkt noch immer relativ wenig; erste Hinweise deuten aber weniger auf eine rassistisch motivierte Tat als auf eine Gewaltobsession hin.
Schießereien Alltag
Beide Männer hatten die Waffen, die sie für ihre Verbrechen benutzten, legal erworben. Aufgrund der selbst für amerikanische Verhältnisse hohen Opferzahl - Schießereien mit mehreren Todesopfern gehören in den USA zum Alltag - sowie der explizit rassistischen Motivation des Täters wird der Tragödie von El Paso aber ungleich mehr Aufmerksamkeit zuteil als der von Dayton.
Wie zu erwarten, bestritt Präsident Trump jeglichen Zusammenhang zwischen seiner und der rassistischen Rhetorik seiner republikanischen Parteifreunde und tat, was er und sie immer tun, wenn wieder einmal Unschuldige den Preis für die laxen beziehungsweise de facto inexistenten US-Waffengesetze zahlen müssen: Sie schicken "Thoughts and Prayers", "Gedanken und Gebete".
Das Attentat wird politisch nicht folgenlos bleiben: El Paso liegt direkt an der Grenze zu Mexiko. Seine Bevölkerung ist zu 80 Prozent hispano-amerikanischer oder spanischer Herkunft. Erste Reaktionen vor Ort und aus dem ganzen Land lassen nicht darauf schließen, dass sich die rund 60 Millionen in den USA lebenden Hispanics künftig fürchten, vor die Tür zu gehen. Am treffendsten fasste es wahrscheinlich der Schriftsteller und Journalist Richard Parker ("Lone Star Nation: How Texas Will Transform America", Pegasus 2015), selber ein Kind El Pasos mit hispanischem Hintergrund, in einem Fernsehinterview zusammen: "Es ist ja nicht so, dass irgendwas, das dieser Terrorist von sich gegeben hat, neu wäre. Wenn man sein Manifest liest, könnte das auch direkt aus dem Pressebüro des Weißen Hauses stammen."
Wie das die Trump-Wähler mit hispanischem Hintergrund sehen, so wenige sie auch nur mehr sind? Bei den vergangenen Midterms ermittelte das renommierte Pew Research Center, das von allen Menschen mit hispanischem Familienhintergrund in den ganzen USA sage und schreibe 69 Prozent einen Kandidaten der Demokraten wählten und nur mehr 29 Prozent einen Republikaner.
Täter "ein Verrückter"
Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen werden die Konservativen jede einzelne dieser Stimmen brauchen, wenn sie politisch relevant bleiben wollen, und als geistige Brandstifter und Ziehväter des amerikanischen Rechtsterrorismus hingestellt zu werden ist vor allem in Texas wenig hilfreich. (Für die wenigen hispanischen Fans von Donald Trump, die ihm noch geblieben sind, ist dieser Umstand derweil ebenso unwichtig wie für seine weißen. Was der Führer sagt, stimmt, egal, was die sogenannten "Fake News"-Medien und ihre angeblichen Verbündeten bei den Demokraten behaupten. Was die Konditionierung seines Anhangs angeht, gibt es unter Trump-Wählern schlicht keinen Unterschied zwischen weiß, schwarz oder braun: Entweder man glaubt ihm oder nicht.)
Warum sich die Republikaner und ihr Führer so extrem darauf versteifen, dass der Attentäter von El Paso ein "Verrückter" sei, ein "Monster", zumindest aber einer mit "schweren psychischen Problemen", ist insofern auch ein kleines Ablenkungsmanöver; eines von den offenbar massiven Problemen, die sich mittlerweile für sie ausgerechnet in jenem Bundesstaat abzeichnen, den sie viel mehr als alle anderen als ihr Kernland ansehen.
Wird Texas "blau"?
Erst vergangene Woche hatte eine Umfrage der University of Texas ergeben, dass es dort derzeit offenbar kaum einen prominenten Kandidaten der Demokraten gibt, der Trump bei der Präsidentschaftswahl nicht schlagen würde. (Nur Ex-Vizepräsident Joe Biden und Pete Buttigieg, der offen homosexuelle Bürgermeister von South Bend, Indiana, lagen hinter ihm, während ihn Bernie Sanders, Kamala Harris, Elizabeth Warren und der aus El Paso stammende Beto O’Rourke teilweise signifikant abhängten.)
Allein die Möglichkeit, das Texas 2020 "blau" werden könnte (die traditionell den Demokraten zugeschriebene Farbe), kommt einem Erdbeben gleich; nicht auszudenken, was passieren würde, wenn der Fall wirklich eintritt. Und genau aus diesem Grund müssen die Konservativen jetzt alles tun, um sich vom Attentäter von El Paso zu distanzieren - auch wenn das in letzter Konsequenz heißt, von ihren eigenen Worten.