Essay: Entweder es gewinnt erstmals eine Frau. Oder Trump, Symbolfigur des Niedergangs der US-Demokratie.
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Washington/Wien. Was sich mit Sicherheit sagen lässt: Die heutige US-Präsidentschaftswahl ist eine wahrhaft historische Wahl. Entweder, die rund 231 Millionen wahlberechtigten US-Bürger wählen das erste Mal in der Geschichte des Landes mit Hillary Clinton eine Frau ins Präsidentenamt, oder sie stimmen für Donald Trump, eine Symbolfigur für den traurigen Niedergang der US-Demokratie.
Abgesehen davon: Die Vereinigten Staaten von Amerika stecken in der schwersten politischen Krise der jüngeren Geschichte. Dieser düstere Befund stammt von Francis Fukuyama, dem US-Politikwissenschafter an der Universität Stanford in Kalifornien. Und Fukuyama muss es wissen: Er verkündete nach dem Kollaps der Sowjetunion und des sogenannten Ostblocks das "Ende der Geschichte". Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft würden sich nun endgültig und überall durchsetzen, lautete seine These. Causa finita.
Es kam bekanntlich anders: Die Sowjetunion war zwar auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet; Putins Russland ist aber nichts anderes als eine zumindest untote autoritäre Inkarnation in neozaristischem Gewand. Der Liberalismus ist überall in der Defensive und das Vertrauen der Bürger in die Segnungen der real existierenden Marktwirtschaft ist seit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 ziemlich geschrumpft. Das Ende der Geschichte ist, so scheint es heute, der Anfang einer neuen.
Vor zwei Jahren erschien Fukuyamas Buch "Political Order and Political Decay": In diesem Werk geht es um den Aufstieg der USA, der eng mit der von der Industriellen Revolution in Gang gesetzten sozialen Revolution verknüpft war. Doch allen politischen Systemen wohnt die Gefahr des Niedergangs inne, schreibt Fukuyama, "das Faktum, dass ein System einst eine erfolgreiche und stabile liberale Demokratie war, bedeutet nicht, dass das bis in alle Ewigkeit so bleiben wird."
Der amerikanische Staat ist in den vergangenen Jahren schwächer, weniger effizient und korrupter geworden. Soziale Ungleichheit und Vermögenskonzentration erlauben es den Eliten, immense politische Macht zu kaufen und diese Macht für ihre ureigensten Interessen einzusetzen. Fukuyama beschreibt einen Teufelskreis: Die Politik würde sich den Interessengruppen beugen, die dann einen disproportionalen Einfluss auf den Gesetzwerdungsprozess nehmen können. Dadurch sei der Staat kaum in der Lage, auf Herausforderungen angemessen zu reagieren. Dies wiederum nähre das Misstrauen der Bürger in den Staat, was dazu führt, dass die Bürger dem Staat Ressourcen und Autorität entziehen - was zur Folge hat, dass der Staat seine Aufgaben noch schlechter erfüllen kann.
Ein Schritt näher am Abgrund
Fukuyama blieb aber auch in seinem Buch aus dem Jahr 2014 dabei: Die liberale Demokratie sei nach wie vor am besten geeignet, den Herausforderungen der Moderne zu begegnen. Dazu seien weder China, Russland noch islamistische Regimes in der Lage. Ohne Reformen freilich seien diese Systeme aber vor dem Untergang nicht gefeit. Das Ende der Geschichte käme dann nicht mit einem Knall, sondern mit einem leisen Wimmern, wie ein Rezensent der "New York Times" damals bemerkte.
2016 steht Amerika ein Stück näher am Abgrund als 2014, als Fukuyamas Buch auf den Markt kam. Denn auch wenn der republikanische Kandidat Donald Trump heute nicht zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden wird - der Trumpismus wird im Zeitalter des Postfaktischen bleiben.
Donald Trumps Kandidatur hat einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu geleistet, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen weiter schwindet. Sollte Trump - entgegen allen Prognosen - tatsächlich die Wahl gewinnen, dann würde ein Mann ins Weiße Haus einziehen, der selbst nicht allzu viel von den staatlichen Institutionen hält.
Das US-Parteiensystem wird nach dieser Präsidentschaftswahl wohl permanent verändert sein: Sollte Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen, dann ist zu erwarten, dass er die Republikanische Partei zu einem rechtsdemagogischen Trump-Wahlverein umbaut. Wirtschaftsliberale und konservative Gläubige werden sich über kurz oder lang eine neue politische Heimat suchen müssen.
Trumps Dolchstoßlegende
Sollte er verlieren, wird Trump weiter an seiner Dolchstoßlegende zimmern, die da lautet: Das Partei-Establishment habe ihm die nötige Unterstützung versagt.
Der Umbau der Republikanischen Partei begann aber bereits lange vor Donald Trump: Der von den Medien als "Paläokonservativer" bezeichnete Pat Buchanan machte 1992 Einwanderung zum zentralen Thema seines Vorwahlkampfes, bei dem er George H.W. Bush herausforderte.
Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, baute die republikanische Partei weiter um und führte sie bei den Kongresswahlen im Jahr 1994 mit seinem "Contract with America" zum Sieg. Erstmals seit 40 Jahren hatten die Republikaner die Kontrolle über sowohl den Senat als auch das Repräsentantenhaus erlangt. Gingrich revolutionierte auch die politische Sprache, er ummäntelte den beinahe schon mystischen Glauben der Konservativen an Steuersenkungen mit einer neuen moralistischen Rhetorik einer Politik von Gut und Böse. Mitte der 90er Jahre erschien Gingrichs Buch "To Renew America" (klingt das nicht ein wenig wie Trumps Slogan: Make America Great Again"?), in dem Gingrich nostalgisch eine Rückkehr ins 1950er-Jahre-Amerika der Übersichtlichkeit beschwört.
Angeekelt von Vulgarität
Die Republikanische Partei der Country-Club- und Golfplatz-Eliten, die Partei der Banker und etablierten Manager des Big-Business gibt es nicht mehr, die Partei ist zu einem Hort verunsicherter Arbeiter, Kaufleute und Kleingewerbetreibender geworden. Die bourgeoisen republikanischen Eliten sind von der Vulgarität Trumps angeekelt, die evangelikalen Stützen der Partei nehmen Trump seine Gottlosigkeit und seinen liederlichen Lebenswandel übel. Ein Wunschkandidat des traditionellen republikanischen Establishments war er beileibe nicht.
Aber Trump - obwohl er selbst zur Gruppe der Superreichen gehört - hat sich zur Symbolfigur des Anti-Elitismus emporgeschwungen. Er führte zeitweise gegen seine eigene Partei einen mindestens so aggressiven Wahlkampf wie gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Die obszöne Zurschaustellung von Prunk und Reichtum steht in eklatantem Widerspruch zu seiner Selbstdarstellung als Mann des Volkes mit roter Baseball-Mütze, der so spricht wie sonst nur ungesittete Kerle nach einer Gallone Budweiser.
Im postfaktischen, postpolitischen Zeitalter schaffte der bizarre Kandidat es bis in die Schlussrunde - sein Name steht heute auf dem Stimmzettel für die Präsidentschaftswahl. Gewinnt er die Wahl, dann wird es Amerika schwerhaben, der Welt das demokratische System à l’américaine hinkünftig schmackhaft zu machen. Gleichzeitig wird der 8. November das Ende der Pax Americana markieren, denn welche Nation will sich schon darauf verlassen, dass die USA weiter für ihre Sicherheit garantieren? Und wie wird Wladimir Putin darauf reagieren, im Weißen Haus in Washington einen Counterpart zu finden, der der Nato skeptisch gegenübersteht und findet, dass sich die US-Verbündeten hinkünftig selbst um ihre militärische Sicherheit kümmern sollen?
Weiter so mit Hillary
Hillary Clinton ist es während der Vorwahlzeit und im Wahlkampf kaum gelungen, ihre Wählerinnen und Wähler zu begeistern.
Sie steht für das Weiter-so. Donald Trump ist in seinem Wahlkampf mit klaren Botschaften samt Ausrufezeichen aufgetreten: Amerika muss wieder großartig werden! Mauerbau an der Grenze zu Mexiko! Einreiseverbot für Muslime! Hillary Clinton hatte keine griffigen Botschaften, weder ein obamahaft-optimistisches "Yes, we can" noch die angserfüllte 1950er-Retro-Utopie von Donald Trump, sondern irgendetwas dazwischen. Ihr stärkstes Argument: Eine Stimme für Hillary zur Verhinderung von Trump.
Freilich: Die politische Polarisierung wird in einem Amerika, in dem es nur die Wahl zwischen den Parteien des größeren und kleineren Übels gibt, ungebremst weitergehen. Hillary Clinton wird Schwierigkeiten haben, den Flügel von Bernie Sanders, die progressive Linke, einzubinden. Die Republikaner: Sie werden sich in jedem Fall neu erfinden müssen. Amerika steht vor einer historischen Wahl.