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Washington und Havanna wollen ihre Beziehungen normalisieren, Papst Franziskus spielte Vermittlerrolle.
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Washington/Havanna. Die historische Kehrtwende zwischen Washington und Havanna begann mit einem ausführlichen Telefongespräch. US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raul Castro telefonieren am Dienstag miteinander. Allein das ist schon eine kleine politische Sensation, hatten sich die beiden nach politischem Ermessen mächtigsten Amtsträger des gesamten amerikanischen Kontinents doch Jahrzehnte lang nicht zu sagen. In dem Telefongespräch ging es um letzte Details und auch darum, herauszufinden, ob sich diese beiden mächtigen Männer tatsächlich vertrauen können.
Am Mittwoch, eine Nacht später, traten beide Regierungschefs vor ihre Nation, um die historischen Verabredungen zu verkünden. Castro trug damit ein militärisches Outfit, das optisch an die Zeit ehemaliger lateinamerikanischer Militärdiktaturen erinnerte. Obama entschied sich für den klassischen seriösen Anzug. Auch das sind kleine Statements.
Zuvor hatte bereits ein Gefangenenaustausch als sichtbarer Beweis für die neue Entspannungspolitik gesorgt. Kuba entließ Alan Gross, einem Mitarbeiter der US-amerikanischen Hilfsorganisation USAid, der in Kuba wegen der Verteilung von Informationstechnologie verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde. Die USA schickten drei kubanische Spitzel nach Hause, die Exilkubaner in Miami aushorchen sollten.
Dann endlich sprechen Obama und Castro zu ihren Landsleuten. Vor allem in Miami und Havanna hören die Kubaner aufmerksam zu. Jene, die vom kommunistischen Model Kubas überzeugt sind und jene, die davor meist unter dem Einsatz ihres Lebens in die USA geflohen sind. "Isolation hat nicht funktioniert", sagt Obama und räumt damit ganz offiziell die Niederlage der US-amerikanischen Embargo-Politik ein. Die USA werden künftig nun auf ihre eigenen Bürger setzen, die künftig nach Kuba reisen könnten. Als Botschafter der Werte der USA und der US-amerikanischen Demokratie. Castro bedankt sich mit einem bemerkenswerten Statement: Präsident Barack Obama verdiene Respekt, sagte Castro. Solche Töne sind seit einem halben Jahrhundert Anti-Gringo-Politik aus Havanna nicht mehr zu vernehmen gewesen.
Konkret bedeutet der Kurswechsel Washington für Kuba dramatische Veränderungen. Es werden schon bald Touristen und Investoren kommen. Obama kündigt an, dass die USA nicht ruhen werden, auch weiterhin die kubanische Zivilgesellschaft beim Aufbau demokratischer Strukturen zu unterstützen. Castro lässt zeitgleich wissen, das Zeitalter des Kolonialismus und des Imperialismus sei vorbei.
Kaum haben Obama und Cas-tro ihre historischen Statements beendet, tritt der erste lateinamerikanische Regierungschef vor die Kameras. Kolumbiens konservativer Präsident Juan Manuel Santos kommentiert die Nachricht euphorisch: "Das ist eine große, große Nachricht für die Region und die ganze Welt."
In Miami gibt es gespaltene Reaktionen auf die Ereignisse. Exilkubaner bezeichnen Obama als Kommunisten, der vor Castro in die Knie gehe. Andere stützen den Kurs des Präsidenten, der eine weise Entscheidung getroffen habe. Die kubanische Gemeinde in den USA gilt gespalten in der Frage des Umgangs mit Kuba. Viele Geflohene wollen die Heimat bestraft sehen, andere wiederum Reiseerleichterungen für Verwandtschaftsbesuche.
Da Kubaner aufgrund der Wet-Foot-Dry-Foot-Doktrin von der US-Einwanderungspolitik nicht betroffen waren, wählten sie lange Zeit vermehrt republikanisch, da die Partei eher das katholisch-patriarchale Wertesystem der Insel vertrat. Zudem waren die Republikaner für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Kuba bekannt. Doch in den vergangenen Jahren beginnen die Grenzen fließender zu werden - immer mehr Kubaner können sich für die Demokraten begeistern.
Unterdessen mehren sich die Stimmen, die den Verdienst von Papst Franziskus in dem Annäherungsprozess unterstreichen. Der Vatikan hatte in den letzten Wochen der Geheimdiplomatie eine entscheidende Rolle gespielt, Franziskus gab zu, viele Briefe geschrieben zu haben. Obama und Castro bedanken sich ausdrücklich bei dem ersten lateinamerikanischen Kirchenoberhaupt, das mitgeholfen hat, einen Ausweg aus einem der ältesten politischen Konflikte auf seinem Heimatkontinent zu finden.
Ein 52 Jahre altes Embargo
Als Reaktion auf die 1956 gestartete Revolution von Fidel Castro haben die USA 1961 die diplomatischen Kontakte zu Kuba abgebrochen. Nach der gescheiterten Schweinebucht-Invasion zum Sturz Castros verhängte US-Präsident John F. Kennedy im Februar 1962 Wirtschaftssanktionen gegen Kuba, um einen Regierungswechsel zu erzwingen. Das Embargo gilt für die Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen.
In den ersten 30 Jahren wurden die Auswirkungen durch Hilfe der Sowjetunion in Höhe von geschätzten fünf Milliarden Dollar pro Jahr gemildert. Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Bruderstaates 1991 war die kubanische Wirtschaft den Folgen des US-Boykotts dann ohne sowjetische Unterstützung ausgesetzt.
In den 90er-Jahren verschärften die USA die Sanktionen mehrmals, indem sie den Handel mit Kuba über ausländische Firmen unter Strafe stellten. Das US-Embargo wurde immer wieder von der UN-Generalversammlung verurteilt. Lediglich die USA und Israel stimmten in den letzten Jahren jeweils gegen die nicht bindende Resolution, die das Ende des Embargos forderte, zuletzt am 28. Oktober. Kubas Außenminister Bruno Rodriguez Parrilla bezifferte den angerichteten Schaden damals auf eine Billion Dollar.
Hart wird die kubanische Wirtschaft auch davon getroffen, dass die USA mit Druck auf ausländische Banken Finanzgeschäfte auf Kuba verhindern.
In den vergangenen Jahren wurde das Embargo in Teilen gelockert. Die US-Agrarlobby schlug im Jahr 2000 eine spürbare Bresche in den Boykott; seither werden in großen Mengen Lebensmittel und Medikamente aus den USA auf die Karibikinsel geliefert, die 84 Prozent ihrer Nahrungsmittel im Ausland einkauft. Mittlerweile haben die USA bei den Lebensmittelimporten sogar Europa als größten Handelspartner abgelöst.
Dennoch schnüren die bestehenden Schranken des Embargos die kubanische Wirtschaft weiter ab. Und dieses Problem besteht weiter, wie Raul Castro am Mittwoch klarstellte. Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen ändere daran zunächst nichts.
Die Macht, sowohl das Handelsembargo als auch die Reisebeschränkungen für US-Bürger im Alleingang aufzuheben, hat Obama freilich nicht. Vielmehr ist er auf den republikanisch dominierten US-Kongress angewiesen.
Die EU hatte ihre Sanktionen gegen Kuba 2005 ausgesetzt und nach ersten Reformschritten von Castros Bruder Raul, der 2008 die Präsidentschaft übernahm, endgültig aufgehoben.