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LDP erstmals seit 54 Jahren nicht stärkste Kraft. | Taro Aso gibt nach Wahldebakel LDP-Vorsitz ab. | Tokio. Nach ihrem Erdrutschsieg bei der Unterhauswahl will die Demokratische Partei (DPJ) in Japan möglichst rasch die Regierung übernehmen. Bereits nächste Woche soll die Koalition mit den Sozialdemokraten sowie der Neuen Volkspartei stehen. Die DPJ, die am Sonntag die absolute Mehrheit errang, will die beiden kleineren Parteien als Zeichen der Offenheit einbinden. Der designierte Premier Yukio Hatoyama führte dazu am Montag bereits erste Gespräche und beriet sich mit der Parteispitze. Die DPJ verfügt zwar mit 308 der 480 Mandate über eine absolute Mehrheit im Unterhaus, braucht die kleineren Partner aber, um das Oberhaus zu kontrollieren. Seine Ministerliste will Hatoyama bis Mitte September vorstellen, wenn ihn das Parlament formell als Regierungschef bestätigt hat. Ursprünglich hatte der 62-Jährige geplant, die Posten kurz nach der Wahl zu vergeben. Doch offenbar will er Fehler bei der Personalauswahl vermeiden.
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Hatoyama, der eine Politik ohne "Arroganz" ankündigte, steht wegen der scharfen Wirtschaftskrise - das Land wird derzeit von der schwersten Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gebeutelt - unter großem Handlungs- und Zeitdruck. Nach der Erholung im zweiten Quartal droht eine neue Konjunkturdelle. Die Industrie produzierte im Juli nur noch 1,9 Prozent mehr als im Vormonat. Zugleich hatten die Arbeiter durch Lohnkürzungen 4,8 Prozent weniger im Portemonnaie als im Vorjahr. Der Einzelhandel machte 2,5 Prozent weniger Umsatz. Die Arbeitslosigkeit steht auf dem Nachkriegshoch von 5,7 Prozent, während die Preise mit minus 2,2 Prozent so rasant fallen wie nie.
Hatoyama will die Kaufkraft der Verbraucher stärken und dadurch den Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Deflation und Konsumstopp unterbrechen. Unter anderem sind ein Kindergeld, die Abschaffung der Schul- und Autobahngebühren und ein Mindesteinkommen für Bauern geplant. Die Regierung rechnet mit Mehrausgaben von jährlich rund 125 Milliarden Euro.
Kampfansage an das mächtige Beamtentum
Zugleich haben die Demokraten dem mächtigen Beamtenapparat den Kampf angesagt. Die Beamten sollen ihre bisherige, weitreichende Kontrolle über die Finanzen an die Politik abgeben. Als Werkzeug im Kampf gegen die Bürokraten richtet die neue Regierung ein "Amt für nationale Strategie" ein, das Schlüsselpolitiken entwickeln soll. "Das große Experiment hat begonnen", kommentierte ein hoher Finanzbeamter, der anonym bleiben wollte, das Vorhaben. Die DPJ macht die Verfilzung zwischen Elitebeamten und der Liberaldemokratischen Partei (LDP) für die Stagnation im Land verantwortlich.
Der Wahlsieg hat in Japan ein positives Echo ausgelöst. Die hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent wurde als Ausdruck eines starken Wechselwillens weg vom LDP-System und Politikstil verstanden. Der Sieg sei die beste Chance, in eine neue Richtung zu gehen, schrieb die Zeitung "Asahi". Auch aus der Wirtschaft kam Unterstützung, obwohl die DPJ den Mindestlohn erhöhen und die Zeit- und Vertragsarbeit einschränken will. Das Volk wolle aus "harten wirtschaftlichen und stagnierenden sozialen Verhältnissen" ausbrechen, meinte Kaoru Yano, Chef des Elektronikkonzerns NEC. Fujio Mitarai, Präsident des Wirtschaftsverbandes Keidanren, begrüßte das entstandene Zwei-Parteien-System. Im neuen Unterhaus stellt die LDP mit 119 Abgeordneten erstmals seit 54 Jahren nicht mehr die stärkste Fraktion. Premierminister Taro Aso trat als Parteichef zurück und räumte ein, die LDP habe es verabsäumt, die sozialen Probleme im Land angemessen anzugehen.
Auch Japans Bündnispartner USA reagierte freundlich - und dies, obwohl Hatoyama eine Neubewertung der Beziehungen angekündigt hatte. "Präsident Barack Obama freut sich auf eine enge Zusammenarbeit mit dem neuen Premierminister", verlautete in Washington. Die DPJ will unter anderem den bereits verabredeten Neubau eines US-Militärflughafens auf Okinawa neu verhandeln - und plädiert stattdessen für ein umso versöhnlicheres Verhältnis zu den asiatischen Nachbarländern. "Die USA werden die LDP bald vermissen", kommentierte ein US-Experte den neuen Tonfall aus Tokio. Hatoyamas erste große internationale Feuerprobe wird vermutlich der G20-Gipfel am 24. September in Pittsburgh (USA) sein, wo er erstmals Obama treffen wird.
Siehe auch:Freude über die Wende in Japan