Frankreichs Staatschef spricht bei seinem Besuch einen wunden Punkt in der Geschichte seines Landes an: Paris hatte in den 1990er Jahren das rassistische Hutu-Regime unterstützt und trägt so zumindest Mitverantwortung am Völkermord.
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In dem Museum in Ruandas Hauptstadt Kigali hängen hunderte Fotos, von Jungen und von Alten, von Frauen und Männern. Manche lächeln gerade in die Kamera, andere schauen ernst, manche haben sich herausgeputzt und tragen einen Anzug oder ein schönes Kleid, andere haben einfach nur ein T-Shirt an. Was aber all die Abgebildeten gemeinsam haben: Sie alle wurden ermordet.
Mit den Fotos gedenkt nämlich das "Genozidmuseum" in Kigali der Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994. Damals töteten in einem dreimonatigen Blutrausch radikale Hutus rund 800.000 Menschen. Ihre Opfer waren Angehörige der Minderheit der Tutsi sowie gemäßigte Hutus, die sich dem Morden widersetzten. Die Täter waren Soldaten, Polizisten, Milizangehörige oder auch Dorfbewohner, die ihre Nachbarn mit Macheten zerstückelten.
Frankreich lieferte Waffen und bildete Armee aus
In dem Museum ist auch zu sehen, wie die Hutu-Ideologen rund um den damaligen Präsidenten Juvenal Habyarimana dem Genozid mit ihrer Propaganda den Boden bereiteten. So wurden etwa in Zeitungen "Die zehn Gebote für einen guten Hutu" veröffentlicht. Demnach ist jeder Hutu, der eine Tutsi heiratet, ein Verräter, darüber hinaus sollten Hutus kein Mitleid mit Tutsis haben.
Dieses offen rassistische Regime hatte Verbündete, und einer der wichtigsten davon war Frankreich. Eine von Präsident Emmanuel Macron beauftragte Historikerkommission hatte in einem im März dieses Jahres veröffentlichten 1.200-seitigen Untersuchungsbericht das Urteil gezogen, dass Frankreich in den Jahren 1990 bis 1994 versagt habe. Nicht nur seien Frankreichs Politiker blind gegenüber den Vorbereitungen auf den Genozid gewesen. Darüber hinaus wurde unter dem damaligen Präsidenten François Mitterand das Regime in Ruanda gestärkt, mit Waffen beliefert und dessen Militär ausgebildet.
Zu ähnlichen Schlüssen kam auch eine Untersuchung von Historikern in Ruanda. Während aber der Pariser Bericht Frankreich nur eine Mitverantwortung an dem Genozid gibt, spricht der aus Ruanda Frankreich auch Mitschuld zu.
Gestern, Donnerstag, hat Emmanuel Macron in Kigali - in einer für die französische Diplomatie noch immer ungewohnt offenen Art und Weise - Frankreichs Rolle thematisiert. Sein Land habe die Pflicht, "sich der Geschichte zu stellen und das Ausmaß des Leidens anzuerkennen, das es dem ruandischen Volk zugefügt hat". Nur diejenigen, die den Schrecken damals erlebt haben, "können uns vielleicht vergeben und uns das Geschenk des Verzeihens bereiten", sagte Frankreichs Staatschefs. Zugleich betonte er aber, dass die Mörder "keine französischen Gesichter" gehabt hätten. Er blieb damit bei der Linie, dass Paris Mitverantwortung, aber keine Mitschuld trage. Trotzdem: Dieses offene Geständnis ist, zumindest für Ostafrika und wahrscheinlich auch darüber hinaus, ein historischer Moment.
Der Besuch, bei dem entgegen sonstiger Gepflogenheiten keine Fahnen gehisst wurden, diente auch einer Normalisierung der bisher angespannten Beziehungen. Paris hat keinen Botschafter in Kigali stationiert, was sich aber ändern soll. Ruandas Präsident Paul Kagame hat Frankreich immer wieder für seine Rolle beim Genozid kritisiert. Nun betonte er aber den Willen Ruandas, die Beziehungen neu zu gestalten. Er begrüßte Macrons Rede ausdrücklich. Dessen Worte hätten "mehr Wert als eine Entschuldigung" - auf die Macron verzichtet hatte.
Genozid prägt Ruandas Politik bis heute
Kagame war 1994 als Anführer der Tutsi-Rebellenarmee "Ruandische Patriotische Front" (RPF) in Kigali einmarschiert und hatte das Hutu-Regime vertrieben. Die RPF wurde zur Regierungspartei, und Kagame ist seitdem nicht von der Macht abgerückt.
Sein politisches Wirken ist stark von dem Völkermord geprägt. Laiengerichtshöfe wurden gegründet, die nicht nur über Täter urteilen, sondern auch den Genozid aufarbeiten sollten. Ein ruandisches Gemeinschaftsgefühl soll die alte Zweiteilung in Hutu und Tutsi ersetzen. Erreicht werden soll das auch durch einen wirtschaftlichen Erfolg, den sich die Ruander gemeinsam erarbeiten. Tatsächlich hat das Land eine Aufstiegsgeschichte hingelegt, die in Afrika ihresgleichen sucht: Die Wirtschaft wächst permanent, die Armutsquote sinkt, die Müttersterblichkeit ist enorm zurückgegangen und auch die Durchimpfungsrate der Bevölkerung liegt weit über dem afrikanischen Durchschnitt.
Allerdings zieht Kagame sein Fortschrittsprogramm mit harter Hand durch. Wer das System Kagame und den damit einhergehenden Machtapparat in Frage gestellt, muss mit Verfolgung rechnen. Das macht Ruandas starken Mann bis heute zu einem schwierigen Partner für den Westen. Kagame hat aber immer wieder klargemacht, dass er sich nichts sagen lassen will - und rechtfertigt das auch mit Blick auf den Völkermord, bei dem die Weltgemeinschaft zugeschaut und versagt hat.