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Hitliste der Polizeistaaten: Deutschland vorne mit dabei

Von Christian Holger Strohmann

Europaarchiv

Unter den Top-Ten bei elektronischer Überwachung. | Beunruhigung, aber kaum Widerstand. | Berlin. Was manch einer schon immer befürchtet hat, ist nun statistisch nachgewiesen: Deutschland gehört zu den zehn Staaten der Welt, in denen die Bürger unter Zuhilfenahme moderner technologischer Mittel am stärksten kontrolliert werden.


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Das zweifelhafte Etikett eines elektronischen Überwachungsstaates wird Deutschland durch eine Untersuchung des US-Sicherheits-Unternehmens Cryptohippie (http://secure.cryptohippie.com) angeheftet, das insgesamt 52 Nationen unter dem Aspekt analysiert hat, wie ausgiebig deren Bewohner von den Behörden ausspioniert werden.

An der Spitze der Polizeistaat-Skala ("The Electronic Police State"-Reports) für das Jahr 2008 finden sich die üblichen Verdächtigen wie die kommunistischen Staaten China und Nordkorea wieder. Auch Weißrussland, Russland, Großbritannien sowie die Vereinigten Staaten nehmen exponierte Plätze ein. Schließlich werden die Top-Ten-des modernen "Horch-und-Schau-Rankings" durch Israel, Frankreich und Deutschland komplettiert.

Die Ergebnisse der Cryptohippie-Studie bestätigen, dass die Bundesrepublik in Sachen elektronischer Überwachung bereits einige bedenkliche Entwicklungen vorzuweisen hat. Vor allem mit der viel diskutierten Vorratsdatenspeicherung hat Deutschland einen Schritt vollzogen, vor dem andere EU-Länder noch zurückschrecken.

Jüngste Fälle bei der Bahn, in Handelsketten und anderen privaten Unternehmen, aber auch in staatlichen Instanzen belegen, dass nahezu jede Form der elektronischen Kommunikation in Deutschland überwacht wird - mit subtilen Techniken, die den früheren DDR-Staatssicherheitschef Erich Mielke vor Neid erblassen ließen. "Dadurch fühlen sich die meisten zwar etwas beunruhigt, doch nur die wenigsten sagen oder tun etwas dagegen", heißt es in der US-Analyse.

Wissen über Folgen fehlt

Hauptursache hierfür sei in erster Linie das fehlende Wissen darüber, welche drastischen Konsequenzen das Aufzeichnen, Ordnen, Durchsuchen und Verteilen der gesammelten Daten für die arglosen PC- oder Macintosh-Nutzer haben kann. Jede E-Mail oder Kreditkartentransaktion und jeder Webseitenbesuch oder Mobiltelefon-Gebrauch würde laut Cryptohippie-Studie von einem elektronischen Überwachungsstaat für lange Zeit in einer Datenbank gespeichert. Von dort könnten sie per Mausklick zu jeder Zeit von den Behörden als Beweis gegen den Bürger verwendet werden. Aber auch für kommerzielle Zwecke werden gespeicherte Daten zu Konsumverhalten, Markenbewusstsein und Freizeitvergnügen ausgewertet.

Hinsichtlich des Gefahrenpotenzials ist die Empfindsamkeit innerhalb der deutschen Bevölkerung im internationalen Vergleich stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Bestätigt wird diese Einschätzung unter anderem durch den Widerstand im Rahmen der Einführung der Vorratsdatenspeicherung und der aktuellen öffentlichen Debatte um die Sperrung von Kinderpornoseiten.

Insbesondere im Bereich der Internetnutzung ist aber offensichtlich noch viel Arbeit nötig, um die deutschen Nutzer über Gefahren, die im Netz auf sie lauern, aufzuklären. Die meisten Menschen glauben auch heute noch, dass ihre persönlichen Erfahrungen aus der realen Welt auch in der virtuellen Welt gelten. Sie sind sich dabei nicht bewusst, dass sie zu jeder Zeit eine Datenspur im Netz hinterlassen, die rund um den Globus verfolgt werden kann.

Auch unter den Politikern scheint Sensibilisierung angeraten zu sein, denn zu den Entscheidungsträgern gehören noch viele der ehemaligen Verweigerer von neuen Kommunikationstechnologien.