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HIV, Krebs? Schwamm drüber

Von Alexia Angelopoulou

Wissen

Wehrlos, ohne Krallen oder Zähne, so sitzen Schwämme im Meer auf ihren Felsen. Obwohl sie Angriffsfläche für alle möglichen Feinde bieten, existieren sie seit Urzeiten. Ihre Überlebenstaktiken wollen Forscher nun im Kampf gegen Krebs, HIV und andere Krankheiten nutzen.


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Professor Franz Brümmer schwärmt von Schwämmen. Der Zoologe im Biologischen Institut der Universität Stuttgart hat gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Nickel erst vor kurzem eine bisher unbekannte Art entdeckt. Die kleine, weiße Stachelkugel wurde auf Tethya wilhelma getauft, weil die Zoologen in einem der Aquarien des Stuttgarter Zoos Wilhelma fündig wurden.

Ob Tethya wilhelma Substanzen birgt, die pharmazeutisch genutzt werden können, weiß man bisher noch nicht. Die Chancen stehen gut: Die meisten Schwämme der Gattung Thethya sind mit biologisch aktiven Stoffen ausgestattet, die aus medizinischer Sicht höchst wirksam sein könnten.

Dabei haben Schwämme den einfachsten Bauplan. "Sie stehen ganz unten im Tierreich, keine Nerven, Muskeln, Organe", sagt Brümmer. Sie saugen Wasser ein und filtern die Nahrung heraus, mehr nicht. Wer aber festsitzt und ständig Gefahr läuft, gefressen oder überwachsen zu werden, muss ein Arsenal an biologischen Waffen bereit halten, um zu überleben. Bioaktive Substanzen sorgen dafür, das Schwämme nicht von Bakterien oder Algen besiedelt werden.

Das Wirkspektrum dieser Substanzen ist breit. So gibt es Inhaltsstoffe, die antibakteriell wirken und vielleicht eines Tages ein Antibiotikum ermöglichen, gegen das Bakterien noch nicht resistent sind. Entzündungshemmende Wirkstoffe könnten bei Krankheiten wie Rheuma zum Einsatz kommen.

Manche Schwämme verfügen außerdem über so genannte Immunsupressiva, also über Stoffe, die eine Reaktion des eigenen Abwehrsystems unterdrücken. Sie könnten bei Organtransplantationen wichtig sein, wo die Gefahr besteht, dass das eigene Abwehrsystem das neue Organ als Fremdkörper abstößt.

Und selbst Viren ziehen gegenüber Schwämmen den Kürzeren: Es wird geprüft, ob virenhemmende Wirkstoffe aus Schwämmen irgendwann gegen HIV eingesetzt werden können. Ein Mittel gegen Herpes, eine Salbe mit dem Schwamm-Wirkstoff Ara-a, ist bereits auf dem Markt.

"Sogar zytotoxische, also zellschädigende Substanzen, die gegen Tumorzellen vorgehen, werden bereits erforscht", erklärt Brümmer. In Sachen Krebs forschen auch Brümmers Kollegen an der Mainzer Universität. Sie haben einen Wirkstoff im Schwamm gefunden, der möglicherweise hilft, wenn die Chemotherapie versagt. Die Substanz verhindert einen Mechanismus, mit dem sich die Krebszellen gegen die Chemotherapie wehren. Die Heilungschancen durch Schwämme, sie scheinen zu schön, um wahr zu sein.

Und tatsächlich hat die Sache mehrere Haken. "Es ist allein schon schwierig, die ausreichende Menge einer Substanz zu bekommen, um die notwendigen Tests über ihre Wirksamkeit durchzuführen, geschweige denn ausreichend Medizin herzustellen", erläutert Brümmer. "Früher hat man einfach die Meere leergeerntet. Das aber belastete und zerstörte die natürlichen Lebensräume." Es gebe bisher keinen Weg, Schwämme in größerem Maßstab zu kultivieren, auch wenn dies die einzige Möglichkeit sei, ihr Potenzial zu nutzen.

Deshalb wurde kürzlich das bundesweite Kompetenzzentrum BIOTECmarin ins Leben gerufen. Forschergruppen der Universitäten Stuttgart, Mainz, Düsseldorf und Kiel sowie ein Ingenieurbüro aus Mannheim und die Meeresbiologische Station in Rovinj (Kroatien) arbeiten zusammen, um neue Wege zur nachhaltigen Nutzung der Rohstoffquelle Schwamm zu entwickeln.

Das Projekt wird vom deutschen Forschungsministerium unterstützt. Zell- und Molekularbiologen tun sich mit Biotechnologen zusammen, etwa um genetische Informationen aus den Schwammsubstanzen zu gewinnen. Brümmer: "Mit diesen Informationen könnte man einen Wirkstoff auch von einem anderen Organismus herstellen lassen." So könnten die Forscher die Schwierigkeit umgehen, Schwämme züchten zu müssen.

Wenn sie erst einmal erforscht und charakterisiert sind, lassen sich manche Stoffe auch synthetisch herstellen. Bei der Herpes-Salbe ist dies der Fall. "Ara-a ist vermutlich chemisch gesehen recht einfach aufgebaut", erklärt Brümmer. "Trotzdem gilt: Die medizinische Wirkung gewinnt man nicht einfach, indem man den Schwamm ausdrückt."