Risiko und Zugang zu Arzneien sind noch ungleich verteilt. | Die großen offenen Fragen bleiben Heilung und Impfung. |
§§"Wiener Zeitung": Herr Professor, wenn vor 20 Jahren jemand Aids bekam: Wie waren seine Überlebenschancen im Vergleich zum Jahr 2000 oder zu 2010? * | Robert Zangerle: Wenn jemand 1990 ins Aids-Stadium kam, hatte er im Durchschnitt noch zwei Jahre zu leben. Wenn sich jemand 1990 frisch infizierte, hatte er das Glück, bis 1996 mit seiner HIV-Infektion zu leben und dann die Zeit der Kombinationstherapie zu erleben.
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Wenn also jemand eine dieser Folgeerkrankungen erworben hatte, die man als Aids definiert, zum Beispiel die Pneumocystis-Lungenentzündung, dann hat er im Schnitt noch zwei Jahre gelebt, aber nur dann, wenn man sich um ihn gekümmert hat. Sonst sind Patienten auch innerhalb weniger Wochen gestorben. Mitte der 90er Jahre sind uns noch 50 Prozent der Aids-Patienten innerhalb eines Jahres gestorben, im Jahr 2000 waren es nur noch rund 5 Prozent. Die Aids-Therapie ist eine Erfolgsgeschichte der modernen Medizin.
Wie sieht es 2010 aus?
2010 ist es gegenüber 2000 nur minimal besser. Früher hat man aber nur Aids-definierende Krankheiten angeschaut. Wenn man jede Sterblichkeit anschaut, dann gehört dazu auch die an Herzinfarkt, an Schlaganfall oder an einem Lungenkarzinom. Diese sind zwar nicht Aids-definierend, aber bei Aids-Patienten höher als erwartet. Nicht sehr häufig, aber doch so, dass sich die Sterblichkeit zwischen 2000 und 2010 nur geringfügig geändert hat.
Was verursachte die dramatische Verbesserung?
Das war die Einführung der Kombinationstherapie Mitte der 1990er. Man hat 1994, 1995 oft schon zwei Medikamente kombiniert und ab 1996 dann systematisch drei Medikamente. Es haben Leute schon Mitte der 80er Jahre gesagt, man müsse HIV wie Tuberkulose mit mehreren Medikamenten behandeln, sonst komme es rasch zu einer Resistenz. So ist es auch bei der Tuberkulose, mit einem Medikament erzeugt man rasch resistente Erreger. Das war für manche bald absehbar, nur: Es gab keine Medikamente.
Lässt sich mit den neuen Mitteln nun die Krankheit auf Dauer hinauszögern?
Ja. Selbst nach dem Ausbruch von Aids, wenn man die ersten Monate überstanden hat, kann man die Krankheit durch HIV dauerhaft hinauszögern. Es kann aber sein, dass bei HIV-Patienten ein erhöhtes Risiko für andere Krankheiten besteht, wenn einmal die Zahl der für die Immunabwehr zuständigen CD4-Zellen zu niedrig war.
Können das Nebenwirkungen der Mittel sein?
Ich neige dazu zu sagen: Nein. Sie spielen eine Rolle, aber eher scheint mir die durch eine HIV-Infektion ausgelöste chronische Entzündung verantwortlich zu sein. Das ist vergleichbar mit dem Rheuma: Je schwerer das Rheuma, umso höher das Risiko für einen Myokardinfarkt.
Aids ist also nicht mehr tödlich, sondern eine chronische Erkrankung, aber man kriegt es wie Diabetes oder Asthma nicht ganz weg. Was sind nun große offene Fragen in der Aids-Forschung?
Natürlich die Heilung und die Impfung. Die Heilbarkeit von HIV ist ein Ziel, dem man aber nur sehr langsam näher kommt. Und der Zeitrahmen, in dem man sich eine Impfung vorstellt, ist nicht kleiner geworden in den letzten Jahren. Auf jeden Fall sind chronische Krankheiten, auch Diabetes, nie lustig. Und als übertragbare Krankheit hat eine HIV-Infektion auch Folgen für das soziale Leben.
Was ist für Sie das Ziel der Konferenz Aids 2010?
Das Motto lautet "Right here, right now". Im Hintergrund steht der Umgang mit Drogen in Osteuropa und Zentralasien. Global spielen natürlich die Rechte, und zwar auf Therapie und Prävention, eine große Rolle. 2010 ist ein wichtiges Jahr, denn 2005 hieß es auf einem G8-Gipfel in Gleneagles: Bis 2010 schaffen wir den universellen Zugang zu Therapien. Jetzt haben wir 2010, und dazwischen gab es eine globale Finanzkrise. Und jetzt ist die Frage, ob wir es schaffen, an den Erfolg der letzten fünf Jahre anzuschließen. In Südafrika gab es ja eine richtige Revolution im Umgang mit Aids, das Problem wurde auch ganz offensiv angegangen.
Wo breitet sich das Virus heute am meisten aus?
Da muss man sich jede Region eigens anschauen. Es kann auch innerhalb von Nationalstaaten ganz verschieden sein. Im Allgemeinen gilt: In den Industrieländern erfolgt die Verbreitung zum großen Teil über homosexuelle Männer und zum wesentlich kleineren Teil über Drogen, heterosexuell vor allem durch Kontakte mit anderen Ländern.
Wie ist weltweit die Lage?
Daran hat sich nicht viel geändert. Ein Problem war, dass man jahrelang die großen Länder Afrikas falsch eingeschätzt hat. In Nigeria und Äthiopien war es weniger schlimm, in Südafrika eher schlimmer als erwartet. Im kleinen Botswana ist die Rate enorm hoch, jetzt wurde es von Swaziland anscheinend überholt. Im südlichen Afrika spielt das Problem der Fremdarbeiter, die von ihren Familien getrennt arbeiten, eine große Rolle. In Europa liegen die Ukraine, Portugal und Spanien an der Spitze.
Kennt man heute den genauen Ursprung von Aids?
Fest steht, dass es sich um eine Zoonose handelt, eine von Tieren, in diesem Fall von Affen, stammende Krankheit. Es gab von Schimpansen, aber auch von Gorillas, mehrere Übertragungen von Viren auf Menschen, aber nur eine hat sich ausgeweitet. Man hat den Beginn von HIV über die genetischen Verwandtschaften der untersuchten Virenstämme zuerst auf 1930, dann auf 1900 geschätzt. Erstmals gesichert fand man HIV in Blut aus dem Jahr 1959. Das Virus mutiert ständig, es wird vielleicht harmloser, aber dafür leichter übertragbar.
HIV hat ja auch vorübergehend ein Moratorium ausgelöst - keine Transplantationen von Tieren. Im ursprünglichen Wirten wirken nämlich viele solcher Viren nicht krankmachend, wohl aber dann im Menschen.
Wie lautet Ihre Botschaft zu Aids an die Öffentlichkeit? Robert Zangerle Es gilt, HIV-Kranke nicht zu diskriminieren, sondern mit ihnen solidarisch zu sein. Vor allem junge Menschen, Minderheiten und Drogenkonsumenten haben ein höheres Risiko und sollten sich Gedanken über Prävention machen. Die Risken sind nicht gleich, sondern ungleich verteilt.
Robert Zangerle ist Professor an der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Medizin-Universität Innsbruck und Co-Vorsitzender im Komitee für das wissenschaftliche Programm der Aids 2010. Foto: privatBis zu 30.000 Gäste bei Aids-Konferenz