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Hoch, höher, am höchsten -Gerichte ringen um Vorherrschaft

Von Matthias G. Bernold

Wirtschaft

Mit seinen jüngsten Erkenntnissen zur Staatshaftung hat der Verfassungsgerichtshof Zwistigkeiten mit den anderen österreichischen Höchstgerichten heraufbeschworen. Gretchenfrage: Welches Gericht soll über Schadenersatzansprüche aufgrund von Verstößen gegen EU-Recht entscheiden?


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Mitgliedstaaten der Europäischen Union haften für Schäden, die dem Einzelnen dadurch entstehen, dass ein staatliches Organ gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat. Diese sogenannte Staatshaftung entspricht funktionell der innerstaatlichen Amtshaftung, wo der Staat für Verstöße gegen innerstaatliches Recht einstehen muss. Ein Kennzeichen der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung ist, dass es sich dabei ausschließlich um Richterrecht handelt. Gesetzliche Grundlagen gibt es keine.

Verfassungs-Experten wie die Wiener Universitätsprofessorin Gabriele Kucsko-Stadlmayer, die ihren Standpunkt im Rahmen der Herbsttagung der Österreichischen Juristenkommission (ÖJK) vergangene Woche darlegte, räumen der Staatshaftung unter Verweis auf die Judikatur den "Charakter eines gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes" ein. Damit handle es sich um "eines der drei grundlegendsten Prinzipien der europäischen Rechtsordnung", neben jenem der unmittelbaren sowie der vorrangigen Wirkung des Gemeinschaftsrechts.

VfGH: Kompetenz aufgrund des Art. 137 B-VG

Probleme ergeben sich zum einen, weil sich die Staatshaftung - anders als die Amtshaftung - auch auf ein Handeln der Höchstgerichte und der Gesetzgebung erstreckt. Zum anderen dadurch, dass in der EuGH-Judikatur nicht die Frage beantwortet wird, welches innerstaatliche Gericht zuständig sein soll. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in zwei Erkenntnissen die unklare Rechtslage zu bereinigen versucht und sich die Kompetenz, über Staatshaftungs-Klagen gegen andere Höchstgerichte zu entscheiden, zugesprochen. Die Richter der anderen beiden Höchstgerichte, des Obersten Gerichtshofs (OGH) und des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), protestierten. In seinen Erkenntnissen - Rechtssache Sattler, Rechtssache Eyüp - stützt sich der VfGH auf Art. 137 B-VG. "Dieser besagt, dass der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche an Gebietskörperschaften entscheidet, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch eine Verwaltungsbehörde zu erledigen sind", erklärt Gerhart Holzinger, ÖJK-Präsident und VfGH-Mitglied. Auch in einer anderen Fallgruppe habe der VfGH eine ähnlich bestimmende Rolle, erinnert Holzinger: Bei Kompetenzkonflikten.

Kernkompetenz der Zivilgerichte?

Horst Schlosser, OGH-Vize und Vorsitzender des Amtshaftungsausschusses kritisiert die VfGH-Entscheidungen. Schadenersatz sei die Kernkompetenz der Zivilgerichtsbarkeit, daher sollte ein Staatshaftungs-Anspruch auch bei den Zivilgerichten und in letzter Instanz beim OGH geltend gemacht werden. Schlosser: "Ein dreigliedriger Rechtszug ist doch wohl einer uniformen Prüfung durch den VfGH, der nicht einmal die Möglichkeit hat, einen Sachverhalt zu ermitteln, vorzuziehen." Die Staatshaftung - so der Richter weiter - sei der Amtshaftung gleichzustellen.

Kucsko-Stadlmayer hält dem entgegen, dass es wohl nicht dem österreichischen Gerichtssystem entspräche, ein Gericht erster Instanz über Fehlverhalten eines Höchstgerichts entscheiden zu lassen. Für ein Gesetz, das die Rechtslage klärt, spricht sich der emeritierte Staatsrechtler Robert Walter aus: "Wollen wir ein Verfassungs- und Gesetzesstaat bleiben oder wollen wir uns in einen Rechtsprechungs- und Richterstaat verwandeln?" Vor einem Gesetz warnt hingegen VfGH-Mitglied Kurt Heller: "Das birgt nur wieder eine Gefahr des Widerspruchs zu künftigen EuGH-Entscheidungen." Harald Dossi vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes erinnerte daran, dass derzeit auch in anderen EU-Mitgliedsländern keine gesetzlichen Regelungen existieren.

Ein möglicher Weg, um die Gleichrangigkeit der Gerichte zu wahren: Die Einrichtung eines von allen drei Höchstgerichten beschickten Senats, der über die Staatshaftungsansprüche entscheidet.

Literatur: Schwarzenegger: Staatshaftung; NWV 2001; 329 Seiten; ISBN: 3-7083-0002-5; 43,40 Euro