Drei Tage vor Beginn des israelischen Abzugs aus dem Gaza-Streifen haben Sicherheitskräfte am Freitag das Gebiet abgeriegelt. Die Sperren sollen während der gesamten dreiwöchigen Räumungsaktion aufrecht bleiben, sagte ein Armeesprecher in Tel Aviv. Dort hatte am Vorabend die größte Protestkundgebung der Abzugsgegner stattgefunden. Veranstalter sprachen von rund 300.000 Teilnehmern. "Ein Juden-freier Gaza-Streifen heißt Al-Kaida willkommen" und "Der Abzug kommt der ethnischen Säuberung von Juden gleich" war auf Transparenten zu lesen.
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Trotz der Massendemonstration hat Ministerpräsident Ariel Sharon das Vorhaben verteidigt. "Ich bereue nichts", sagte er der Tageszeitung "Yedioth Ahronoth" (Freitag-Ausgabe). "Selbst wenn ich vorher gewusst hätte, wie stark der Widerstand sein würde, hätte ich es getan." Am Mittwoch hatte Staatspräsident Moshe Katzav im Fernsehen die Siedler für die bevorstehende Räumung um Verzeihung gebeten.
Der Abzug bringe für Israel mehr Sicherheit, erklärte US-Präsident George W. Bush in einem Interview, das am Freitag von Radio Israel verbreitet wurde. Er lobte Sharon für dessen "starke und mutige Entscheidung". "Ich denke, dass die Entscheidung umgesetzt wird und gut sein wird für Israel", sagte Bush. Der palästinensische Außenminister Nasser al-Kidwa hatte vor zu großen Hoffnungen gewarnt. "Die Israelis verlassen zwar den Gaza-Streifen, aber Israel wird die Kontrolle über den Luftraum, die Hoheitsgewässer und zum Teil auch die Grenzübergänge behalten." Das bedeute, dass Israel nach wie vor palästinensische "Personenbewegungen" und "Kontakte mit der Außenwelt" überwachen werde, sagte Kidwa am vergangenen Montag.
Die "Roadmap", der Friedens-Fahrplan des Nahost-"Quartetts" (USA, UNO, EU, Russland), sieht einen unabhängigen palästinensischen Staat im Westjordanland und Gaza-Streifen vor. Nach den Vorstellungen Sharons soll Israel allerdings große Teile des Westjordanlandes annektieren, was im Widerspruch zur Roadmap steht. US-Außenministerin Condoleezza Rice hatte während ihres jüngsten Nahost-Besuchs der palästinensischen Führung zugesichert, dass der Gaza-Streifen nicht vom Westjordanland abgeschnitten werden dürfe. Rice hatte auch die Verpflichtung der USA unterstrichen, für die Beendigung der israelischen Siedleraktivitäten in palästinensischen Gebieten Sorge zu tragen.
Die amerikanische Hilfsorganisation USAID hat unterdessen Treibhäuser von einer Gruppe israelischer Siedler im Gaza-Streifen aufgekauft. Sie sollen nach der Räumung palästinensischen Bauern übergeben werden.
Schätzungsweise sind zwischen 3000 und 7000 israelische Abzugsgegner in den vergangenen Wochen heimlich in den Gaza-Streifen gelangt. Israelische Sicherheitskreise sind aber davon überzeugt, dass die meisten Siedler das Gebiet freiwillig verlassen. Die Räumung der 21 Siedlungen im Gaza-Streifen und von vier kleineren im nördlichen Westjordanland verläuft in vier Etappen. Die Armee übernimmt den Umzug von Hab und Gut, packt aber pro Haushalt nur so viel ein, wie in zwei Container passt. Siedler, die Widerstand leisten, werden von unbewaffneten Polizisten und Soldaten mit Gewalt evakuiert - für den Notfall stehen bewaffnete Sicherheitsteams bereit. Im Oktober übernehmen palästinensische Sicherheitskräfte offiziell die Verantwortung für die Sicherheit der geräumten Sektoren. Ein genauer Termin steht noch nicht fest.
Führer der militanten Palästinenser-Organisation Hamas wollen ungeachtet des geplanten israelischen Abzugs ihre Waffen nicht abgeben. "Für uns ist es unmöglich, unsere Waffen abzugeben, auch wenn wir alle getötet werden", sagte der Chef des militärischen Flügels der Hamas, "Ezzedin el-Kassam"-Brigaden, Ahmed al-Ghandour, am Freitag vor Journalisten im Norden des Gaza-Streifens. Hamas werde auf jeden israelischen Angriff reagieren, selbst aber keine bewaffneten Aktionen während des Abzugs beginnen, sagte Ghandour, der zu den von Israel meist gesuchten Männern gehört. Hamas werde sich auch keinem palästinensischen Sicherheitsdienst anschließen.