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Hochspannung ums Stromnetz

Von Werner Grotte

Wirtschaft

Den Vorgeschmack eines möglichen Strom-Super-Gaus lieferten die USA allen Technikgläubigen im vergangenen August, als zwischen Kanada und New York ohne Vorwarnung die Lichter ausgingen. Dass ein solches "Black-out"-Szenario auch in Österreich jederzeit möglich ist, beweist die TU Wien mit einer ernüchternden Simulations-Studie. Vor allem fehlende Teilstücke im Netz machen uns im Krisenfall voll von - zu schwachen - Leitungen abhängig.


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Der jährliche Stromverbrauch in Europa steigt jedes Jahr im Schnitt um 2%, der entsprechende Ausbau von Energienetzen hinkt hingegen stark nach. "Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis etwas Größeres passiert. Und dafür sind wir auch in Österreich noch nicht gerüstet", warnt Günther Brauner vom Institut für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft an der TU Wien.

Dort hat man ein eigenes Computer-Simulationsprogramm für mögliche "Black-outs" entwickelt, um den Energieversorgern Grundlagen für Gegenmaßnahmen zu liefern. Hauptproblem in Österreich: Regionale, jahreszeitliche Gefälle bei der Stromerzeugung in den kalorischen bzw. den Wasser-Kraftwerken, wodurch wechselseitig Über- bzw. Unterkapazitäten ausgeglichen werden müssen. Das wiederum belastet die zu schwachen Leitungen.

Dazu kommt, dass in den nächsten Jahren aufgrund der strengen Umweltschutzbestimmungen einige "alte Stinker" wie St. Andrä, Zeltweg und Voitsberg (alle Stmk.) stillgelegt, nötige Neubauten aber nicht zeitgerecht fertig werden. Zudem starten in den nächsten fünf Jahren in NÖ und im Burgenland bis zu 1.500 Megawatt an neuen Windanlagen, deren Energie ebenfalls durch diese Leitungen läuft.

"Fallen aus diesen Gründen nun unvorhergesehen Leitungen oder gar Kraftwerke aus, kann nicht mehr reagiert werden", verweist Brauner auf den "deregulierten" Strommarkt. Denn seit dieser Maßnahme können die Netzbetreiber nicht mehr direkt in den Strommarkt eingreifen, sondern müssen dies über die Strombörse tun. Und die ist für den Handel am nächsten Tag, aber nicht für Deals innerhalb weniger Minuten eingerichtet.

"Ein dermaßen liberalisierter Strommarkt kann nur funktionieren, wenn das Netz gut ausgebaut ist. Und das ist es leider noch nicht", bekräftigt der "Black-out"-Spezialist. Konkret fehlen der geplanten 380 KV-Ringleitung, die Österreich weitgehend versorgungssicher machen würde, zwei wichtige Teilstücke in Oberösterreich und der Steiermark (siehe Grafik). Für den Bau dieser Leitungen wurde gerade die Umweltverträglichkeitsprüfung eingereicht, sodass mit einer Fertigstellung nicht vor 2007 zu rechnen ist. Investitionsvolumen: gut 300 Mill. Euro.

Durch ein ausgeklügeltes "Engpass-Management" hat man es bisher (etwa am 27. August) geschafft, Totalausfälle in Österreich zu vermeiden. "Das Problem ist, dass wir im Ernstfall auch nicht mit Unterstützung unserer Nachbarn rechnen können, da diese teils noch schlechter ausgestattet sind", weiß Brauner.

Antiquiertes US-System

Wie dramatisch sich ein allzu liberalisierter Strommarkt kombiniert mit maroder Infrastruktur auswirken können, zeigt das Beispiel USA: Die Energiesysteme stammen dort technologisch weitgehend noch aus den fünfziger Jahren (!) und wurden seither nur unzureichend erneuert. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre haben sich dadurch die Versorgungsstörungen gleich um 41% gegenüber den fünf Jahren davor gesteigert. Weil sich der Strombedarf der USA aber bis 2009 gegenüber 1988 um 60% erhöht haben wird, die Netze aber lediglich um 19% verstärkt wurden, werden Störungen noch exorbitanter zunehmen.

Der volkswirtschaftliche Schaden in der digitalen und automatisierten US-Gesellschaft wird jetzt schon auf 120 Mrd. Dollar jährlich geschätzt, das sind 1,3% des gesamten Bruttoinlandproduktes (8.987 Mrd. Dollar). Ein koordiniertes Gegensteuern ist aber kaum möglich: In 20 der 51 US-Bundesstaaten ist der Markt dermaßen liberalisiert, dass die öffentliche Hand so gut wie nichts mehr zu reden hat. Aufgrund unklarer Eigentumsrechte an Energiesystemen sind auch künftige Gewinne unklar, sodass sich niemand wirklich verantwortlich fühlt. Die Investitionsbereitschaft ist generell niedrig, lokale Gegenmaßnahmen ändern an der Gesamtmisere nichts Grundlegendes.