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Hochspannung vor der Stichwahl in Frankreich

Von Petra Klingbeil

Politik

Paris - Voller Spannung und Sorge blicken Frankreich und Europa auf den Entscheidungskampf um das französische Präsidentenamt. Umfragen lassen keinen Zweifel: Die Stichwahl am 5. Mai dürfte der neogaullistische Amtsinhaber Jacques Chirac haushoch mit bis zu 80 Prozent der Stimmen gewinnen, für den Chef der rechtsextremen und fremdenfeindlichen "Nationalen Front" (FN) Jean-Marie Le Pen wollen immerhin etwa 20 Prozent stimmen.


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Doch die Glaubwürdigkeit der Meinungsforscher ist schwer erschüttert. Niemand hatte den Erfolg Le Pens bei der ersten Runde am 21. April vorausgesagt, als er überraschend mit 16,8 Prozent der Stimmen den sozialistischen Premierminister Lionel Jospin aus dem Rennen warf und in die zweiten Runde einzog. Jetzt droht der 73-jährige Rechtsextreme: "Ihr werdet in der zweiten Runde genauso eine Überraschung erleben, wie in der ersten. "Ich ziele auf 40 oder gar 50 Prozent der Stimmen", kündigte er großspurig in der Tageszeitung "Le Monde" an. Frankreich ist entsetzt, das europäische Ausland blickt ungläubig nach Paris.

Le Pens Wähler sind Protestwähler, so manche Handwerker, kleine Angestellte und sozial Schwache, die Angst vor zunehmender Gewalt in den Städten haben und sich von der etablierten Politik unverstanden und verlassen fühlen. Le Pens Programm für Frankreich ist radikal: er will alle illegalen Ausländer ausweisen und Sozialleistung nur noch an Franzosen zahlen. Außerdem will er Frankreich aus der EU austreten lassen, den Franc und Grenzkontrollen wieder einführen. Die Polemik des wortgewandten Demagogen kommt bei den Enttäuschten und Frustrierten an, die ihn als "volksnah" empfinden.

Linken und liberalen Franzosen ist dagegen vor dem entscheidenden 5. Mai der Schrecken nachhaltig in die Glieder gefahren. Das Land erlebt eine beispiellose Mobilisierung von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Bürgerbewegungen. Hunderttausende Demonstranten gingen aus die Straßen. Sozialisten wie Bürgerliche rufen zur Sammlung um Chirac auf, der auch bei seinen politischen Gegnern plötzlich zum Garanten von Demokratie und Toleranz aufgestiegen ist.

Philosophen, Künstler, Grüne wie Daniel Cohn-Bendit, Sozialisten und auch die Kommunisten - sie alle wollen für Chirac stimmen, wenn auch zum Teil zähneknirschend. Der Amtsinhaber warnt immer wieder eindringlich vor einer rechtsextremen Machtübernahme. Die Bewahrung der Werte der Republik sei "der Kampf meines Lebens gegen Hass und Intoleranz", sagte Chirac auf einer Wahlveranstaltung. Er sprach auch von seiner "Sorge um den Ruf Frankreichs im Ausland".

Beunruhigend sind durchgesickerte Informationen der Geheimdienste, die bei der zweiten Runde eine noch höhere Zahl von Nichtwählern vorhersagen als in der ersten Runde, in der bereits mit 28,4 Prozent so viele Bürger den Wahllokalen fern blieben wie nie zuvor. Le Pens Erfolg war teilweise auch auf die für französische Verhältnisse geringe Wahlbeteiligung zurückgeführt worden.

Wenn Chirac erwartungsgemäß am 5. Mai das Rennen macht, ernennt er einen Übergangs-Premier, der Nicolas Sarkozy heißen könnte. Der bürgerliche Politiker gehört zu den Stützen der neuen Chirac-Partei "Union für die Mehrheit des Präsidenten" (UMP). Diese Partei soll dem zersplitterten bürgerlichen Lager bei den Parlamentswahlen im Juni helfen, eine geschlossene Front gegen die Rechtsextremen zu bilden.