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Höchste Zeit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das Pflegethema ist unendlich kompliziert. Das macht Reden leichter als Tun.


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In Österreich redet die Politik schon sehr, sehr lange von der Notwendigkeit einer grundlegenden Pflegereform. Sogar die Wortwahl ist immer drastischer geworden: Die "Herausforderung" wurde erst zum "Problem", dann zur "Krise" und schließlich zum "Notstand". Aber all das Gerede hat nur zu Flickwerk geführt.

Womöglich wird sich das jetzt mit Türkis-Grün ändern. Aber sicher sein können sich die Bürger erst, wenn es konkrete Pläne, einen Zeitplan und, dies vor allem, eine Finanzierung gibt. Denn ein nachhaltiges Konzept für die Bereitstellung und Finanzierung der künftig benötigten Pflegeinfrastruktur ist unendlich komplex, weil so viele Rädchen synchronisiert werden müssen. In Österreich gibt es - häufig mit je eigenen Strukturen und Akteuren, wohlgemerkt! - mobile Dienste, teilstationäre Dienste, stationäre Dienste, Kurzzeitpflege, alternative Wohnformen sowie das sogenannte Case- und Care-Management. Und natürlich die unzähligen und in der Regel unbezahlten Fälle, wo Angehörige, meistens Frauen, die Pflegedienstleistung mitleisten.

Zur Vielfalt der Formen kommt die Vielfalt der Finanzströme. Neben den privaten Eigenmitteln ist die Pflege eine Angelegenheit der Länder, wo der Bund jedoch, wie auch die Gemeinden, eine erhebliche Finanzierungsleistung zu erbringen hat. Die unterschiedlichen Finanzströme machen das System nicht nur kompliziert, sie erschweren auch die zielgerichtete Steuerung. Zudem sind solche Strukturen Gift für die Effizienz. Je nach Bundesland werden unterschiedliche Kosten für gleiche Leistung verrechnet.

Die Dringlichkeit für politisches Handeln ergibt sich aus den Fakten der Demografie: Die Zahl der über 80-Jährigen verdoppelt sich bis 2050, die Kosten könnten (Sicherheit ist bei solchen Prognosen nie zu haben) in diesem Zeitraum womöglich um das Dreifache steigen. Bei seiner Einführung 1993 bezogen 200.000 Menschen Pflegegeld, 2018 waren es bereits 460.000 - bis 2050 werden es 750.000 sein. Allein bis 2030 geht die neue Regierung daher von einem Gesamtbedarf an Pflegekräften von rund 75.000 Personen aus.

Wer angesichts dieser Eiger Nordwand an Herausforderungen behauptet, das Pflegethema ließe sich quasi im Handumdrehen bewältigen, nimmt sich als ernsthaften Politiker selbst aus dem Spiel. Hier muss aus zahllosen Mosaiksteinen ein Gesamtwerk geschaffen werden, das erst fertig sein wird, wenn die heutige Politikergeneration schon lange abgedankt haben wird.

Solche Themen lässt die Politik bevorzugt links liegen, indem viel darüber geredet, aber nur wenig getan wird. Man wird sehen, ob es dieses Mal anders sein wird. Höchste Zeit ist es auf jeden Fall.