)
Nächste Woche startet der Europäische Stabilitätsmechanismus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Luxemburg. Eine der größten Finanzinstitutionen der Welt nimmt am 8. Oktober die Arbeit auf: Mit dem dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) werden im Endausbau bis zu 700 Milliarden Euro im Kampf gegen die Eurokrise bereitstehen.
Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), hat schon am Donnerstag erklärt, dass auch das schlagkräftige EZB-Anleihenkaufprogramm nun startklar sei: Das sollte Spekulanten abhalten, die auf den Kollaps der Währungsunion wetten. Für Investoren ist es sinnlos, sich mit der Notenbank anzulegen, weil diese unbegrenzte Feuerkraft aufbieten kann. Zweifel, ob die EZB bereit wäre, diese einzusetzen, hat Draghi ausgeräumt.
Ist das der Anfang vom Ende der Eurokrise? Kehrt im Herbst endlich Ruhe ein, jetzt wo die mächtige Feuermauer von EZB und ESM errichtet ist?
"Ja, die Chance besteht", sagt Paul De Grauwe, Professor an der London School of Economics und einer der renommiertesten Euro-Experten zur "Wiener Zeitung". "Die EZB macht das Richtige, entscheidend ist ihr Bekenntnis, unlimitierte Anleihenkäufe durchzuführen. Sie sollte damit aber auch loslegen." Er sei heute deutlich optimistischer als vor sechs Monaten, sehe allerdings die Gefahr, dass die Konditionen in Gegenzug für EZB-Aktionen zu hoch geschraubt werden. Würden etwa Spanien noch mehr Sparmaßnahmen abverlangt, ginge dieser Schuss nach hinten los, weil die Wirtschaft abgewürgt wird: "Diese Länder werden regelrecht in die Rezession gedrängt."
Die Prognosen geben ihm recht: Die Wirtschaftsleistung der Eurozone wird weiter schrumpfen, prognostizierte das Münchener Ifo-Institut am Freitag. Im dritten Quartal 2012 sei mit einem Minus von 0,2 Prozent und im vierten Quartal von 0,1 Prozent zu rechnen. Die Sparanstrengungen der Krisenländer wirkten sich kurzfristig negativ aus: Sinkende Einkommen und die steigende Arbeitslosigkeit lassen den Konsum einbrechen. In den ersten drei Monaten 2013 werde das Bruttoinlandsprodukt stagnieren.
Der Politikmix von Sparen und Kürzen sei völlig falsch gewählt, sagt De Grauwe. Obendrein formiere sich dagegen immer mehr Widerstand auf den Straßen - die sozialen und politischen Probleme könnten womöglich irgendwann außer Kontrolle geraten.
"Abwärtsspirale stoppen"
Jedes Land habe nur seinen eigenen Finanzhaushalt im Auge und übersehe die fatalen Folgen für andere Staaten: "Aus dieser fatalen Spirale müssen wir rauskommen." Das bedeute nicht, dass die Krisenländer ihren Sanierungspfad verlassen sollen - sie sollten aber mehr Zeit dafür erhalten.
De Grauwe sieht für andere Länder Spielräume: "Deutschland kann sich ein Defizit leisten - es sollte seinen Schuldenstand jetzt nur stabilisieren und nicht abbauen. Das würde allen helfen." Noch dazu, wo sich das Land dank der niedrigen Zinsen praktisch zum Nulltarif Geld borgen könne: "Jedes Unternehmen im Privatsektor würde so eine Situation doch ausnützen, um zu investieren. Geld zum Nulltarif - worauf warten sie da eigentlich noch?"
Heftige Kritik übt Paul De Grauwe, dass eine Ländergruppe rund um Deutschland einige Beschlüsse zum ESM rückgängig machen will - ein Thema, das auch beim Treffen der Eurogruppe und der EU-Finanzminister am Montag und Dienstag für kontroverse Debatten sorgen dürfte. Deutschland, Finnland und die Niederlande (und danach auch Österreich) hatten verlangt, dass es direkte Bankenhilfe aus dem ESM nur in der Zukunft gibt - Altlasten müssten von den nationalen Regierungen geschultert werden. "Das ist wirklich lächerlich und eine Schande", wettert De Grauwe: "Diese Länder haben sich beim EU-Gipfel auf Beschlüsse festgelegt und wollen jetzt nichts davon wissen. Wozu braucht man eine Rekapitalisierung? Natürlich um Banken zu sanieren, andernfalls wird das Instrument ja gar nicht gebraucht."
Bundesbank macht Meinung
Sorgen bereitet dem Belgier auch die öffentliche Meinung in Deutschland. Dort macht sich das Gefühl breit, dem Land würden zu viele Risiken auferlegt. "Ich habe den Eindruck, die Bundesbank organisiert diese Opposition. Ich kann es nicht beweisen, bin aber überzeugt, dass das die Strategie ist." Bundesbank-Chef Jens Weidmann hatte sich mehrfach dezidiert gegen die EZB-Politik ausgesprochen. "Das ist sehr gefährlich und könnte leicht außer Kontrolle geraten, zumal die Bundesbank großen Respekt genießt. Das könnte zu einer generellen Ablehnung des Euro führen." Offenbar wolle die - an sich unabhängige - Bundesbank wieder zu einem "powerhouse", zum Kraftzentrum der Währungsunion, werden.
Insidern zufolge läuft bereits eine Debatte, die Stimmen im obersten EZB-Gremium neu zu gewichten. Deutschland beschwert sich, dass jedes Land eine Stimme hat - unabhängig vom Kapital und den Risiken. Künftig könnte die Stimmgewichtung wie im Internationalen Währungsfonds entsprechend den Kapitalanteilen erfolgen. "Selbst dann wäre Deutschland überstimmt worden", sagt De Grauwe. "Klar ist: Ein EZB-System, in dem die Bundesbank Vetorechte hat, wäre inakzeptabel."