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Höchste Zeit für einen Abschied

Von Walter Hämmerle

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Wenn auch der letzte Leser weiß, dass alles Übel eine Ursache hat, ist klar, dass auch der beliebteste Begriff nichts taugt, wenn er nichts aussagt.


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Kein Philosoph und schon gar kein Soziologe können ohne leben; auch Ökonomen, Historiker und selbstverständlich Politologen führen ihn ohne Unterlass im Munde; und wenn nicht einmal Komplexitätsforscher ohne ihn das Auslangen finden, wie könnte man solches von Schriftstellern, Theatermachern, Schauspielern, Medienmenschen und sogenannten Kulturwissenschaftern aller Art verlangen.

Die Sache geht schon so weit, dass man gerne wissen möchte, was all diese Welten- und Zeitenerklärer nur sagen würden, wenn man ihnen diesen einen Begriff entwinden würde: Würde dann plötzlich Stille an der Diskursfront eintreten oder, ganz das Gegenteil, ein neuer Redeschwall über die Zuhörer kommen, weil es nun vieler Worte bedarf, um all das zu sagen, wofür bisher dieses eine ausreichte.

Und dieses eine Wort kann wahre Wunder vollbringen. Nicht nur, dass es praktisch sämtliche Übel dieser Welt zu erklären imstande ist, mitunter sehen in ihm auch einige die Lösung. Dazu muss man nur das Gleiche wie die Bösen machen, nur eben von der anderen Seite. Und schon verhilft man der guten Sache zum Durchbruch. Oder so ähnlich eben.

Aber das ist noch immer eine Minderheitenmeinung. Die meisten, denen ohne das Wort das Thema ausgehen würde, sind sich nämlich eigentlich einig, dass es sich dabei um ein bedingungsloses Übel handelt, dessen (tatsächlich oder angeblich) dahintersteckende Ideen am besten aus der Geschichte des menschlichen Denkens verbannt würden.

Das soll natürlich im Sinne der Aufklärung sein und erinnert trotzdem eher an dunklere Vorzeiten. Aber darüber lässt sich trefflich streiten; am besten natürlich unter ständiger Beschwörung dieses einen Allzweckbegriffs.

Bleibt die Frage, warum ein Wort das für alle Übel unserer Zeit verantwortlich gemacht wird und manchmal auch als Rezept für ihre Lösung empfohlen wird, eine solch beispiellose Karriere hinlegen konnte? Wieso glauben auch kluge Menschen, nicht von einem Begriff lassen zu können, bei dem längst völlig unklar ist, was er denn nun überhaupt beschreibt?

Natürlich gibt es einige biedere Erklärungen. Für die mediale Massenkommunikation in ihrer exklusiveren Variante ist die Wortprägung fast perfekt: Ein Fremdwort, das es zum geflügelten Schlagwort gebracht hat; das ausreichend vage ist und in das jeder Leser und Zuhörer herauslesen und -hören kann, was in die je eigene Weltsicht hineinpasst; praktischerweise ist das Wunderwort auch griffig und kompakt genug, um "bella figura" in jeder Titelzeile zu machen.

Die Wahrscheinlichkeit ist dennoch hoch, dass der Begriff die durchschnittlichen Adressaten all dieser Botschaften vor allem ratlos zurücklässt. Lediglich bei einer kleinen Gruppe Eingeweihter löst der allgegenwärtige öffentliche Pranger für die Übeltäter zweifellos ungebrochen begeisterte Zustimmung aus.

Aus all diesen Gründen ist es deshalb an der Zeit, dass sich die Diskurselite von ihrem Lieblingsbegriff verabschiedet. Das Wort vom Populismus hat seine Schuldigkeit mehr als getan, der Begriff kann gehen.