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Anhänger des Ex-Premiers drohen mit Massendemission im Parlament.
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Rom. Am Tag bevor sich das römischen Kassationsgerichts mit dem Mediaset-Verfahren gegen Silvio Berlusconi beschäftigte, herrschte am Montag Hochspannung in der politischen Szene Italiens. Wenn das Höchstgericht in den nächsten Tagen die Urteile der ersten beiden Instanzen bestätigt - vier Jahre Haft und Ausschluss von öffentlichen Ämtern für fünf Jahre - könnte Italien in eine neue politische Krise schlittern. Vertraute des ehemaligen Regierungschefs drohten zu Wochenbeginn mit einer Massendemission der Parlamentarier seiner Partei "Popolo della Liberta (Volk der Freiheit - PdL).
"Sollte Berlusconi verurteilt werden, treten alle Parlamentarier der PdL zurück. Wir sind, was wir sind, dank Berlusconi " kündigte die Südtiroler Staatssekretärin Michaela Biancofiore in einem Interview mit der Zeitung "la Repubblica" an, zeigte sich aber optimistisch, dass es gar nicht zu einer Verurteilung kommen werde.
Mehr als sieben Millionen Euro Steuern hinterzogen
Auch Berlusconi selbst meinte, das Kassationsgericht könne nur seine Unschuld anerkennen, denn aus den Dokumenten gehe klar hervor, dass er seit Jahren keine direkte Rolle bei der Verwaltung seiner Mediengruppe Mediaset spiele. Deshalb könne man ihm nicht Steuerbetrug vorwerfen.
Genau das hatten aber die beiden Gerichte erster und zweiter Instanz getan. Mediaset habe Fernseh- und Filmrechte nicht direkt von den großen US-Firmen gekauft, sondern über Vermittlung diverser Offshore-Firmen. Damit seien die ursprünglichen Preise aufgeblasen worden. Man habe im Ausland Schwarzgeldfonds geschaffen und dadurch die italienischen Steuerbehörden um mehr als sieben Millionen Euro geschädigt, wurde in den beiden bisherigen Urteilen festgehalten.
In der ihm sehr freundlich gegenüberstehenden Zeitung "Libero" hatte Berlusconi am Sonntag jedoch gesagt, dass er im Fall einer Verurteilung nicht wie seinerzeit sein Vorgänger Bettino Craxi Italien verlassen werde. Er sei bereit, ins Gefängnis zu gehen und werde keine sozialen Dienste als Alternative zur Haft akzeptieren. Er sei fast 77 Jahre alt und habe das Recht auf Hausarrest. Später dementierte Berlusconi, das gesagt zu haben.
Anwalt Ghedini rechnet nicht mit Freispruch
Und nach Meinung italienischer Medien ist Berlusconis Anwalt Niccolo Ghedini wenig optimistisch, dass der Ex-Premier vom Kassationsgericht freigesprochen werden könnte.
Tatsächlich läuft Berlusconi keine Gefahr, ins Gefängnis gehen zu müssen. Die vier Jahre Haft werden durch einen Straferlass aus dem Jahr 2006 ohnehin auf nur ein Jahr reduziert. Im schlimmsten Fall hätte Berlusconi mit einem Jahr Hauarrest zu rechnen. Was Berlusconi befürchtet, ist aber der Ausschluss von den öffentlichen Ämtern für fünf Jahre und das genau 20 Jahre nach seinem Einstieg in die italienische Politik. Berlusconi würde nach einem entsprechenden Verfahren im Immunitätsausschuss des Senats seinen dortigen Sitz verlieren und könnte bei Neuwahlen nicht wieder antreten.
Politische Beobachter halten es für möglich, dass es Berlusconis Partei in diesem Fall auf eine parlamentarische Kraftprobe ankommen lassen wird und damit den Ausschluss konterkariert.
Das könnte zu einem schweren Zerwürfnis innerhalb der Regierung führen. Schon jetzt fordert ein Teil der Abgeordneten der Demokratischen Partei (PD), vor allem aus dem Lager um den Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, im Fall einer Verurteilung Berlusconis auch einen Ausschluss der PdL aus der Regierung - ohne Wenn und Aber.
Der PD-Fraktionschef im Senat, Luigi Zanda, hingegen meint, dass eine Verurteilung Berlusconis nicht von vornherein einen Bruch des Paktes mit der PdL bedeuten würde. Aber wenn es von der PdL zersetzende Reaktionen gebe, würde die Allianz geschwächt werden.
Berlusconis Anwälte könnten heute, Dienstag, im letzten Moment auch einen Antrag auf Vertragung des Verfahrens auf September beantragen und damit weiter Zeit gewinnen. Dabei geht es auch um die Verjährungsfrist, die nach Ansicht der Anwälte für die 2002 betreffenden Anklagepunkte erst am 26. September einritt und nicht wie vom Kassationsgericht behaupte, schon am kommenden Samstag.
Auch Freispruch ist theoretisch möglich
Theoretisch ist aber auch ein Freispruch Berlusconis möglich, wenn das Höchstgericht im Urteil der zweiten Instanz Schwächen in der Begründung feststellt. In diesem Fall könnte es zu einem eindeutigen Freispruch kommen oder das Höchstgericht könnte eine Wiederholung des Prozesses vor dem Berufungsgericht anordnen. In diesem Fall ist aber nicht sichergestellt, dass ein neues Verfahren vor der Verjährungsfrist der 2003 betreffenden Anklagepunkte im September 2014 abgeschlossen ist und Berlusconi könnte einmal mehr einer Verurteilung entgehen.
Berlusconis Anwälte argumentieren, dass ihr Klient 2002 und 2003 keinem Verwaltungsorgan der Mediaset angehört und auch keine Einkommenserklärungen unterschrieben habe. Außerdem verweist die Verteidigung darauf, dass Berlusconi im Mediatrade-Verfahren, wo es um ähnliche Vorwürfe aus späteren Zeiten ging, vom Kassationsgericht freigesprochen worden sei.
Auf jeden Fall warten auf Berlusconi auch nach dem Höchstgerichtsurteil im Mediaset-Prozess weitere Berufungsverfahren im Unipol- und im Ruby-Prozess (Beihilfe zur Veröffentlichung abgehörter Telefongespräche, Amtsmissbrauch und Begünstigung von Prostitution Minderjähriger), sowie ein Korruptionsverfahren , weil er 2006 den Senator Sergio de Gregorio aus der Prodi-Koalition mit drei Millionen Euro zum Parteiwechsel veranlasst hat.