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Höchstgericht öffnet die Getränkesteuerschleusen

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Die Kraftausdrücke reichen vom "Konkurs der Gemeinden" bis zum "Raub am Steuerzahler". Die jüngste Entwicklung in dem jahrelangen Fiskalkonflikt gibt den Weg frei für etwa 70.000 Steuerrückzahlungs-Anträge heimischer Betriebe. Ein gigantisches Aktenbearbeitungsszenario zeichnet sich ab: mit amtlichen Ermittlungen, Vorhalten, Bescheiden, Rechtsmittelverfahren. Jedenfalls mit langfristigen Erledigungen. Die Bürokratie ist auf ein Jahrzehnt ausgebucht. Das filmreife Thema: Getränkesteuer, vorletzte Klappe. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu soeben grünes Licht gegeben.


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Die "Wiener Zeitung" hat im Montagblatt berichtet: Die neue Rechtssituation bedeutet für die heimischen Gemeinden nicht weniger, als etwa 17 Mrd. Schilling an - aus heutiger Sicht - zu Unrecht eingehobener Getränkesteuer zurückzahlen zu müssen.

Ein kommunaler Finanzkollaps steht bevor. Was von Bürgermeistern und Finanzstadträten befürchtet worden war, droht nun tatsächlich zu einem Horror-Aderlass zu werden. Das Höchstgericht hat in einem Aufsehen erregenden Judikat) bestätigt, dass die seinerzeitigen Getränkesteuerschuldner eine positive Erledigung ihrer anhängigen Rückzahlungsanträge erwarten dürfen.

Anspruch nach Rechtsbehelf

Am 9. März dieses Jahres hatte der Europäische Gerichtshof den von vielen erwarteten Richterspruch getan. Die Erhebung einer Getränkesteuer auf alkoholische Getränke sei mit der Verbrauchsteuerrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften unvereinbar. Gleichzeitig betonte der Gerichtshof, dass Getränkesteuerschuldner, die rechtzeitig - also vor dem Tag des EU-Richterspruchs - "gegen die Steuererhebung Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt" hätten, ein Anrecht auf Rückforderung der unberechtigten Steuerbeträge haben.

Weiter Rechtschutz

Ein Rückforderungsanspruch also für alle vor dem 9. März 2000 bereits bezahlten und urgierten Getränkesteuerbeträge. Gegebenenfalls zurück bis zur Verjährung. "Klage erhoben" ist klar: Man muss seinen Rückzahlungsanspruch vor einem der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes erhoben haben. Nicht so klar war aber der Hinweis auf "einen entsprechenden Rechtsbehelf". Da mussten offenbar selbst die hiesigen VwGH-Richter zur Klärung dieser kryptischen Aussage gemeinschaftsrechtliche Judikatur studieren.

Der Begriff des Rechtsbehelfs findet sich indes tatsächlich im Gemeinschaftsrecht, insbesondere in verschiedenen Urteilen des EU-Gerichtshofes. Man versteht darunter, "dass seitens der betroffenen Parteien rechtzeitig Schritte zur Wahrung ihrer Rechte unternommen werden. Der Begriff Rechtsbehelf ist daher im Sinne des zu gewährenden Rechtsschutzes möglichst weit zu verstehen." (Zitat VwGH).

Anträge sind Rechtsbehelfe

Auf die Praxis übertragen bedeutet das, dass Unternehmen, die an die Gemeinde (als Abgabenbehörde I. Instanz) einen Antrag auf bescheidmäßige Steuerfestsetzung (nämlich mit Null) und auf Rückzahlung der (angesichts der erwarteten EU-Rechtsprechung) zu Unrecht bezahlten Getränkesteuer gestellt haben, damit bereits einen derartigen Rechtsbehelf ergriffen haben.

Selbst die Abgabe einer "Nullerklärung", also einer Steuer-erklärung, in der die fällige Steuer mit Null eingesetzt wurde oder die bloß den Hinweis "keine steuerpflichtigen Getränkeumsätze" enthielt, müsste unter diesem Aspekt wohl als derartiger Rechtsbehelf angesehen werden.

Dazu muss man wissen, dass nach Meinung von Wirt-schaftstreuhändern (und auf deren Rat) etwa 80% der betroffenen Betriebe - Gastronomiebetriebe, Händler, v.a. aber die großen Handelsketten - solche Anträge gestellt haben, wobei jeweils mit allen Mitteln versucht wurde, im Wege von Rechtsmittelverfahren den Rechtszug offen zu halten.

Umstrittene "Bereicherung"

Zwischen 60.000 und 70.000 solcher Verfahren bzw. Erstattungsanträge, die bisher noch nicht oder noch nicht in letzter Instanz erledigt wurden, warten nach Schätzung der Kommunen-Vertreter nun auf Bearbeitung und Erledigung. Das zur "Umverteilung" anstehende Steuervolumen könnte dabei bis 17 Mrd. Schilling betragen.

Kein Wunder, dass die Gemeinden und Länder schon seit Jahresbeginn versucht haben, dem drohenden Desaster vorzubauen. In den Abgabenordnungen der Bundesländer - Kärnten ausgenommen - wurde eine Klausel eingefügt, die einer Getränkesteuer-Rückzahlung unter dem "Bereicherungsgesichtspunkt" vorbeugen sollte. Da die Getränkesteuer als Verbrauchsteuer im Regelfall von den Verkäufern im Preis auf die Konsumenten überwälzt wurde, die freilich keinen Rückzahlungsanspruch geltend machen können, käme eine Erstattung der Steuerbeträge an die Händler einer ungerechtfertigten Bereicherung dieser Betriebe gleich. Dieser Aspekt lasse daher eine Steuererstattung an Gastronomie- und Handelsbetriebe als unbillig erscheinen, argumentierten die Kommunen.

Kostenfaktoren der Händler

Der auf den ersten Blick einleuchtende Standpunkt wurde indes vom Höchstgericht bald verworfen: Es sei unbeachtlich, wenn die Länder und Gemeinden auf diese Weise versuchten, einen rechtswidrigen Zustand auf kalte Weise rückwirkend aufrecht zu halten, stellte das oberste Verwaltungsgericht fest. Aber auch die Wirtschaft konterte mit einem Gegenargument. Im Hinblick auf die Konkurrenzlage und die oft mörderischen Preisschlachten am Getränkesektor sei die Überwälzung der Steuer auf die Konsumenten ohnehin unmöglich gewesen; die Steuer sei vielmehr als Kostenpost an den Verkäufern hängen geblieben, der Rückzahlungsanspruch also gerechtfertigt.

Das Höchstgericht hat mit seinem vorwöchigen Erkenntnis Bewegung in die unendliche Geschichte der Getränkesteuer gebracht. Wie jede unendliche Geschichte ist sie freilich noch lange nicht zu Ende.

) VwGH Zl. 2000/16/0296 v. 19.6.2000

Mit diesem Beitrag verabschiedet sich der Autor in die Sommerpause. Die "Steuertipps" werden Anfang September fortgesetzt.