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Der Verfassungsgerichtshof hat das Minderheitsrecht bei U-Ausschüssen mit seinem jüngsten Erkenntnis gestärkt. Und zwar mehr, als es der Gesetzgeber ursprünglich wollte. Nach wie vor sind aber wesentliche Fragen offen.
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SPÖ und Neos bekamen vom Verfassungsgerichtshof, was sie wollten. Und zwar alles. Die Opposition darf sich doch intensiv im Rahmen eines Untersuchungsausschusses der kurzen türkis-blauen Ära widmen, sich Postenbesetzungen und Gesetzesinitiativen näher ansehen und prüfen, ob diese im Zusammenhang mit Spenden an Parteien stehen. Anders formuliert: Ob der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf Ibiza wahre Geschichten erzählte oder "Gschichtln" druckte.
Die Regierungsparteien hatten den Antrag der beiden Oppositionsparteien auf umfassende Nachschau im Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrats radikal gekürzt. Das Streichkonzert wurde auch mit einem Rechtsgutachten argumentativ unterlegt, der Verfassungsgerichtshof (VfGH) folgte der juristischen Deutung, was untersucht werden darf und was nicht, allerdings nicht. Türkis-Grün hätten, sagen die Höchstrichter, gar nicht das Recht gehabt, inhaltlich den Untersuchungsgegenstand zu verändern. Streichungen wären zwar grundsätzlich möglich, aber nur, wenn sie den Untersuchungsgegenstand nicht verändern. Das sei aber der Fall gewesen. Aus dem Ibiza-U-Ausschuss war nach dem türkis-grünen Lektorat ein Casinos-U-Ausschuss geblieben. Das geht so nicht. Wäre die Regierung der Ansicht gewesen, dass einzelne Passagen oder der gesamte Antrag nicht verfassungskonform formuliert ist, hätten sie dem Antrag die Zulässigkeit verweigern und sich ihrerseits an den VfGH zur Abklärung wenden können. Diese Auslegung könnte nun weitreichende Folgen haben.
SPÖ und Neos freuten sich am Mittwoch über das Erkenntnis, die Mehrheit könne nicht mehr über eine Minderheit "drüberfahren", sagte etwa Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Beide Parteien sehen die Minderheitsrechte durch das Erkenntnis des VfGH gestärkt. Und das ist wohl so. Die Stärkung dürfte sogar über das ursprüngliche Ansinnen des Gesetzgebers hinaus gehen, als dieser den U-Ausschuss 2014 reformierte und als Minderheitsrecht verankerte.
Der Deal bei der Reform 2014 war ein anderer
Denn damals war sehr wohl angedacht, der Mehrheit im Nationalrat weiterhin Einfluss auf die Formulierung des Untersuchungsgegenstandes zu gewähren. Der sollte nicht allein von einer Minderheit festgelegt werden dürfen. Das war der Deal zwischen der damaligen Opposition (Grünen, Neos und FPÖ) und den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, wie Verhandler von damals sagen und aus den Debatten zu jener Zeit im Parlament hervorgeht.
"Ich hoffe, dass die Regierungsparteien die Opposition nicht zwingen werden, fortwährend Verfahren beim Verfassungsgerichtshof zu führen", sagte etwa der (damalige) Grüne Peter Pilz, einer der Architekten der Reform. Der VfGH war demnach im Streitfall als Ausweg für die Opposition gedacht, also für die Minderheit, wenn sich diese mit ihrem Verlangen im Geschäftsordnungsausschuss gegen die Mehrheit nicht durchsetzen kann, wie dies auch in der Causa Ibiza der Fall war. Offenbar schrieb man das Vorhaben aber zu unklar ins Gesetz. Denn der VfGH sagt nun: "Der Geschäftsordnungsausschuss darf den (.. .) Untersuchungsgegenstand nicht ändern." Nur wenn Einstimmigkeit herrsche, können Adaptionen vorgenommen werden. "Eine Änderung des Untersuchungsgegenstandes ohne diese [einstimmige] Zustimmung ist ausgeschlossen", heißt es im Erkenntnis. Und damit sei auch das Vorgehen von Türkis und Grün verfassungswidrig gewesen.
Das Recht, den Verfassungsgerichtshof in Streitfällen einzuschalten, wandert damit von der Minderheit zur Mehrheit. Letztere darf einen Antrag zwar mit ihren Stimmen als teilweise oder gänzlich verfassungswidrig erklären und ablehnen, und sie muss dies natürlich auch begründen, sie darf selbst keine relevanten Abänderungen vornehmen.
Hätten Türkis und Grün den Streit um den Untersuchungsgegenstand gewonnen, hätten sie das Verlangen als unzulässig erklärt und dem VfGH übergeben? Das lässt sich durch das Erkenntnis nur sehr bedingt sagen.
Das Bundes-Verfassungsgesetz verlangt, dass nur "ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes" geprüft werden darf. Dies muss laut VfGH im Verlangen der Minderheit hinreichend abgegrenzt werden. Aus dem Antrag haben sich "die ausreichende Bestimmtheit und der erforderliche Zusammenhang zu ergeben", schreibt der VfGH. Außerdem seien die Untersuchungsziele näher festzulegen und es ist auszuführen, welche Themenbereiche untersucht werden sollen, wobei diese Bereiche einen "ausreichenden Zusammenhang mit dem festgelegten Vorgang" aufweisen müssen. War dies hier der Fall? Darüber sagt der VfGH nichts.
Wie weit sind die Grenzen beim U-Ausschuss gezogen?
Was er jedoch sagt: Als der Nationalrat damals die Reform beschloss, habe er das "etablierte parlamentarische Konzept" vor Augen gehabt. Und demnach seien "keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Gegenstandes der Untersuchung" zu stellen. Das könnte die Tür zu einer eher weiten Auslegung der Verfassungsbestimmung zu Untersuchungsausschüssen öffnen. Wie weit die Verfassungsrichter diese Grenzen ziehen, darüber gaben sie in diesem Erkenntnis keine Auskunft. Das müssen wohl zukünftige Verfahren klären.
Sicher ist nur: Die Mehrheit kann die Anträge der Minderheit nicht mehr abändern, sie kann diese nur als unzulässig erklären und den VfGH anrufen. Und das verschiebt in der parlamentarischen Praxis doch Macht von der Mehrheit zur Minderheit.