Zum Hauptinhalt springen

Hoffen auf die Armee

Von David Ignatius

Kommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Das hoffnungsvollste Zeichen für die Zukunft ist das ägyptische Militär, das nun für das Gleich- gewicht der Kräfte sorgt. Es ist die einzige Institution, die Hosni Mubarak nicht korrumpieren konnte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Niemand hat es treffender ausgedrückt als Hosni Mubarak selbst: "Unser Ziel ist eine gleichberechtigte Gesellschaft, nicht eine Gesellschaft voller Privilegien und Klassenunterschiede. Soziale Gerechtigkeit ist oberstes Gebot für Frieden und Stabilität in der Bevölkerung." Das war allerdings im November 1981, nach den ersten Wochen im Amt als Präsident Ägyptens.

In den folgenden 30 Jahren wurde Mubarak zum Symbol für Korruptheit schlechthin, in finanzieller, politischer und kultureller Hinsicht. Er wurde anmaßend wie ein König und bildete sich ein, er könne seine Herrschaft seinem Sohn vererben. Den Ruf nach Reformen ignorierte er und ging nur an, was unbedingt nötig war, um die Kritiker in Schach zu halten. Die Ängste im Westen vor islamischer Radikalisierung spielte er schamlos hoch.

Das hoffnungsvollste Zeichen für die Zukunft ist das ägyptische Militär, das nun für das Gleichgewicht der Kräfte sorgt. Es ist die einzige Institution, die Mubarak nicht korrumpieren konnte. Paradoxerweise erweisen sich in der gärenden arabischen Welt gerade starke Armeen als Sprungbrett für den Wandel.

"Die Armee ist der Mittelstand in Camouflage", sagt der libanesische Journalist Jamil Mroueh. Die Soldaten sind in den Straßen von Kairo so willkommen, weil sie die Selbständigkeit und Integrität der Bevölkerung verkörpern. Eine starke Armee kann den Übergang zu Demokratie und Wirtschaftsreformen durchaus ermöglichen.

Den Kern der gegenwärtigen arabischen Krise bildet die Unfähigkeit der jeweiligen politischen Herrscher, notwendige Reformen umzusetzen. Zurückgeschreckt wird aus Angst: davor, die heimische Machtelite vor den Kopf zu stoßen, vor radikalen Muslimen und, ja, auch davor, dass Reformen als elitäre, pro-amerikanische Verschwörung zur Schwächung der Araber ausgelegt werden könnten.

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts schienen die Reformer groß im Kommen. 2004 waren der "Arab Human Development Report" und die "Alexandria-Deklaration" klare Signale für den Wandel. Wunschdenken ist jedoch, was Elliott Abrams in der "Washington Post" schrieb, nämlich dass das Fortbestehen dieser Reformansätze eine Bestätigung für die Politik von Ex-US-Präsident George W. Bush sei. Die Wahrheit ist vielmehr, dass die Kriege, die Bush begann oder nicht verhindern konnte - Irak, Libanon, Gaza - die Hoffnung auf Reformen schwächten. Er meinte es gut, aber er zog die Reformer mit sich nach unten.

Syriens Präsident Bashar al-Assad ist im Moment weniger verwundbar als Mubarak, obwohl sein Regime mindestens so korrupt und autokratisch ist. Er bleibt aber unerschütterlich bei seiner Anti-USA-/Israel-Haltung. Für uns im Westen ist das schwer zu akzeptieren, aber diese Ablehnungspolitik hat Assads Macht vergrößert, während Mubarak sein Image als Marionette des Westens schwächte.

Die Diskussionen in Washington drehen sich hauptsächlich um die Rolle der USA: War es ein Fehler von US-Präsident Barack Obama, Mubarak nicht gleich zum Abdanken zu zwingen? Sollten die USA andere Diktatoren fallen lassen, bevor es zu spät ist? Es geht aber nicht um die USA. Um ihren Weg zu finden, brauchen uns die Ägypter nicht.

"Hier geht es nicht um Slogans", sagt Mroueh, "hier geht es um das Leben: Ich will eine Wohnung und Arbeit." Mit dem Militär haben die Demonstranten den richtigen Partner gewählt für einen Weg der Stabilität und des Wandels.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung