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Die großen Erzählungen in der Politik sind verloren gegangen. Und nirgendwo ist das schmerzhafter zu spüren als in der öffentlichen Debatte über Europa, gebeutelt von der Wucht seiner Finanz- und Schuldenkrise.
Bemerkenswerterweise wurde dieser Verlust einer konsistenten sinnstiftenden Werteordnung beziehungsweise Philosophie die längste Zeit als großer Vorteil betrachtet: An die Stelle des Zwangs zu zielgerichteter Gestaltung trat das Laissez-faire einer gleichgültigen Freiheit.
Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Das ist keine Kritik an der sozialen Marktwirtschaft; noch ist schließlich kein besseres System erfunden worden. Auch wer im Streben nach immer mehr Geld sein persönliches Glück zu finden hofft, soll frei sein, dies zu tun.
Das Problem ist eine Politikergeneration ohne Antrieb, ohne Gestaltungswillen und Überzeugungskraft. Das einzige Band, das etwa Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi oder Werner Faymann (die Liste könnte endlos verlängert werden) verbindet, ist der Wille, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Politische Programme sind dabei lediglich Mittel zum Zweck, kein Ausfluss persönlicher Überzeugungen. Das gilt natürlich auch für die jeweilige politische Gegenseite.
Diese Konzeptlosigkeit rächt sich nun. Man wähnte Europa, und damit den eigenen Wohlstand, auf gerader Schiene. Die heutigen Eliten haben schlicht weiter gemacht, wo die Vorgängergeneration aufgehört hat. Enge Kurven oder gar Weichenstellungen auf diesem "Weiter so wie bisher"-Weg waren dagegen nicht vorgesehen. Nicht einmal in den kühnsten Träumen der Leider-Nein-Visionäre.
Die nun aktive Politikergeneration der 40- bis 60-Jährigen hatte Zeit Ihres Aufstiegs keinen Bedarf an politischen Grundüberzeugungen. Immerhin schien das Ende der großen ideologischen Auseinandersetzungen ausgemacht. Das ist kein Vorwurf, nur ein Erklärungsversuch.
Neue Impulse sind daher wohl erst von einer neuen Politikergeneration zu erwarten, die jetzige wird allenfalls Schadensbegrenzung leisten können - hoffentlich zumindest das. Aufgabe der nächsten Generation wird es sein, das Verhältnis zwischen Leistung und Solidarität, Sicherheit und Freiheit, Gemeinschaft und Individuum neu auszutarieren. Mit welchen Veränderungen ist allerdings noch längst nicht ausgemacht.